Milchkühe melken macht müde

Von glücklichen Kühen und resignierten Bauern: Die Milchpreise sind im Keller wie noch nie. Auch Bio-Bauern sind von EU-Beschlüssen bedroht und versuchen es mit der Nische Direktverkauf, nicht ohne Risiko

Zufrieden grasen Lise und Lotte auf den grünen Weiden des Meyerhofs in Stuhr. Mit dicken Eutern warten sie und 80 gefleckte Artgenossinnen aufs Melken. Das ist für Bauer Hartwig Meyer momentan eine verdriesliche Arbeit: Die Milchpreise sind so niedrig wie nie. „Das ist wahnsinnig. Für uns Bauern lohnt sich das Melken kaum noch, weil wir weniger bezahlt bekommen als uns die Herstellung kostet“, empört er sich.

Vor vier Jahren hat der Bauer seinen 120 Hektar großen Hof auf biologische Milcherzeugung umgestellt. „Nach der BSE-Krise propagierte die Bundesregierung den Bio-Landbau“, erzählt er. Auch viele Molkereien witterten ein gutes Geschäft und stellten um. Inzwischen bedrohen die Niedrigpreise beider Existenzen. „Eigentlich könnten die Molkereibetriebe die Milch gleich in den Gulli schütten, weil sie ihren Milchüberschuss auf dem konventionellen Markt für neun Cent pro Liter verschleudern müssen“, weiß Meyer. Der Grund für diese akut missliche Lage sind die neusten EU-Beschlüsse: Im Juni legten die Agrarminister wieder einmal eine Senkung der Milchpreise um 20 Prozent fest. Meyer sieht einen Zusammenhang mit der EU-Osterweiterung. Unter anderem schwappen von dort weitere billig produzierte Hektoliter Milch auf den Markt und verderben die Preise. Und den VerbraucherInnen sollten keine höheren Preise für Grundnahrungsmittel zugemutet werden, vermutet Meyer.

Er erinnert sich, dass die Molkerei Nordmilch im Jahr 2001 noch 35 Cent pro Liter Milch bezahlte. Im Moment bekommen die Nicht-Bio-Bauern für ihre Milch noch schlappe 26 Cent – für Bio-Milch gibt es aktuell 31 Cent. Demnächst würden die Preise auf gerade mal 22 Cent sinken, schätzt der Präsident des Bremer Landwirtschaftsverbandes, Hinrich Bavendam. „Um überhaupt Gewinn zu erzielen, müssten Bio-Bauern nicht weniger, sondern mindestens 10 Cent mehr bezahlt bekommen“, fügt er hinzu.

Um sich in der Krise über Wasser zu halten, hat Meyer mit seinem Milch-Direktverkauf eine neue Einnahmequelle entdeckt. Stehen die Tetra-Packs der Molkereien erst fünf Tage später im Kühlregal der Supermärkte, liefert Meyer unbehandelte Rohmilch direkt nach dem Melken an 600 Haushalte – der Preis für einen Liter Milch direkt ab Euter beträgt einen Euro. „Frische ist etwas Gutes, und wer das zu schätzen weiß, bezahlt den hohen Preis gerne“, ist er überzeugt. Demnächst will er seinen Lieferservice mit selbstgemachtem Joghurt und Vollmichkäse ergänzen. Meyer hat durchgerechnet, dass er mit seinen 80 Milchspenderinnen 2.400 Familien versorgen könnte. Im Moment ist sein Kundenstamm aber noch nicht groß genug. Außerdem seien die Fixkosten für die Auslieferung und Flaschenreinigung erheblich. Ansonsten könnte er vom Direktverkauf leben, glaubt er. Bisher scheint er aber noch die großen Risiken zu scheuen, liefert weiter an die Molkerei und akzeptiert den Hungerlohn. Ob sich die Bauern gegen die Beschlüsse wehren? Meyer klingt resigniert: „Nein, wohl kaum. Wir wissen ja gar nicht mehr, was wir noch sagen können. Das war schon unser Todesstoß“.

Ingrid Seitz