Man könnte gewinnen

Freizeitwerte in der großen Stadt (Teil 3): Im Casino am Alexanderplatz gibt es Jetons zum Schnäppchenpreis. Mit geborgter Krawatte kann man sich windschiefen Glanz verleihen

von HARALD PETERS

Das Spielcasino im Park-Inn-Hotel am Alexanderplatz ist ein Traum aus Dunkelblau, Violett und Rot. Die Räumlichkeiten sind mit einer Vielzahl von Lichtern reich verziert, während die geschickte Platzierung großformatiger Spiegel den Eindruck unglaublicher Weitläufigkeit potenziert. Gelegen im 37. Stock bietet es überdies eine wunderbare Sicht über die Stadt, wenn auch die Sicht wohl nicht der eigentliche Grund sein kann, der zu einem Besuch im Spielcasino führt. Zwar könnte man meinen, dass dem Casinobesuch in Zeiten, da immer mehr immer weniger Geld haben, etwas unsagbar Gestriges anhaftet. Doch tatsächlich ist das Glücksspiel von all den Freizeitbeschäftigungen, die in Phasen wirtschaftlicher Not als unbedingt unverantwortlich und sinnlos erscheinen, möglicherweise sogar sinnvoll und gut: Man könnte ja auch was gewinnen. Und da derjenige, der nicht viel hat, ohnehin nicht viel verlieren kann, bleibt das Risiko überschaubar und kontrolliert.

Ein Casinobesuch bedarf jedoch einer gewissen Vorbereitung. Die Spieleinrichtungen legen zum Beispiel auf ihre jeweiligen Dresscodes großen Wert. So sind im Casino des Park Inn weder Turnschuhe noch Jeans erwünscht; der Herr sollte zumindest ein Hemd tragen, Krawatte oder Jackett bekommt man an der Rezeption geliehen. Es empfiehlt sich, unbedingt von dem großzügigen Angebot Gebrauch zu machen, weil es dem eigenen Auftreten einen seltenen windschiefen Glanz verleiht, der sich gut mit der Aura des Glücksspiels verträgt. Da man den spielfreudigen Damen ein Sortiment vergleichbarer Accessoires bislang leider vorenthält, versuchen sie dies in der Regel durch raumgreifende Frisuren und ein eigenwilliges Make-up zu kompensieren. Am vergangenen Donnerstag fügte sich das Publikum jedenfalls in diesem Sinne zu einem schillernden Mosaik.

Das Schöne am Glücksspiel ist, dass man eigentlich nichts über das Glücksspiel wissen muss, um das Glücksspiel zu spielen. Jede wichtige Regel erschließt sich im Grunde von selbst. Man ahnt, dass Kartenspiele die Aufenthaltsdauer mitunter erheblich verkürzen, da man beim Black Jack entweder nur gewinnt oder verliert. Schon auf den ersten Blick sieht man, dass die Gewinnchancen beim Roulette ungleich höher liegen, bietet der Spieltisch doch allerhand Felder für Zahlen und Kombinationen. Und gleicht man die Vielzahl der Möglichkeiten mit der Beschaffenheit des Roulette-Rades ab, erkennt man sofort, dass die Felder Schwarz und Rot wohl das geringste Risiko bergen und damit auch die größte Chance. Mit den Jetons im Wert von 20 Euro, die man für nur 15 Euro zum Sommerschnäppchenpreis an der Kasse bekam, tritt man dann unerschrocken an den Spieltisch heran und beginnt sein Spiel. Zwei auf Rot, nichts geht mehr, und die Kugel fällt auf Schwarz – schade! Vier auf Schwarz, nichts geht mehr, und noch mal Schwarz – toll! Wieder vier auf Schwarz, und es kommt Schwarz – das funktioniert ja wunderbar.

Doch irgendwann fällt auf, dass an diesem Abend irgendwie immer Schwarz fällt, was einem , wenn man Schwarz gesetzt hat, verständlicherweise gefällt. Weil die Stabilität der Serie andererseits aber auch beunruhigt, setzt man zwischendurch auch mal, nur so zur Abwechslung, auf Rot – und verliert. Dann hat man von Rot logischerweise schnell wieder genug und setzt auf erneut auf Schwarz.

Doch dann fällt wieder Rot, und man beginnt zu überlegen, ob es damit zu tun haben könnte, dass man während der schwarzen Serie auf Rot setzte und damit die eigentlich sichere Serie durchbrach. Während der Jetonstapel auf diese Weise schrumpft und später wieder wächst, ist es allerdings nicht zu übersehen, dass man offenbar der einzige ist, der sich über derlei Gedanken macht und nach dem Schwarz-Rot-Prinzip spielt. Es gibt also doch noch Leute mit ausreichend Geld, das zu sehen ist beruhigend.

Ein Herr in den Dreißigern, der rein äußerlich Busfahrer oder Germanist sein könnte, setzt beispielsweise an zwei Tischen zugleich. Ein ältere Dame versucht hingegen, das Geheimnis des Zufallsprinzips zu entschlüsseln, in dem sie alle gefallenen Zahlen tabellarisch erfasst. Einer sagt: „Der hat auch schon eine Million verloren.“

Andere spielen immer wieder stur eine Zahl, die aber leider niemals kommt. Und die Spielleiter hantieren fingerfertig und souverän mit den Jetons, stapeln und schieben sie von hier nach dort, werfen und schnippen die bunten Dinger auf die angewiesenen Felder und behalten dabei alles freundlich, aber streng im Blick.

„Letztes Spiel an diesem Tisch“, sagt einer von ihnen dann, und man zählt die Jetons. Immerhin 50 Euro, eigentlich kein schlechter Schnitt.