Azubi bleibt Traumjob

Noch immer sind 12.700 Berliner Jugendliche ohne Ausbildungsplatz – trotz 4.100 unbesetzter Stellen. Wirtschaftssenator Wolf (PDS) appelliert an die Unternehmen, mehr Lehrstellen zu schaffen

von JAN ROSENKRANZ

Die Lage auf dem Berliner Ausbildungsmarkt bleibt dramatisch. Auch sechs Wochen vor Beginn des neuen Ausbildungsjahres halten noch immer rund 12.700 Jugendliche keinen Vertrag in den Händen. Das sind etwa 40 Prozent aller Bewerber. Beim Landesarbeitsamt sind gleichzeitig noch etwa 4.100 unbesetzte Stellen gemeldet.

Wirtschaftssenator Harald Wolf (PDS) appellierte gestern einmal mehr an die Berliner Wirtschaft, trotz der anhaltenden Konjunkturflaute mehr Ausbildungsplätze bereitzustellen. Sie solle dies schon aus Eigeninteresse tun, da wegen der geburtenschwachen Jahrgänge bereits ab 2006 mit einem Rückgang der Bewerberzahlen zu rechnen sei. Wenn die Betriebe jetzt Weisheit vermissen ließen, drohe ihnen ab 2010 ein Fachkräftemangel.

Aus dem Arbeitsamt kommen angesichts der Lage dennoch nahezu optimistische Töne. „Die Zahlen sind nicht wesentlich dramatischer als im Vorjahr“, sagt Ulrike Harstick-Tacke vom Landesarbeitsamt Berlin-Brandenburg. Außerdem sei der Sommer die „Zeit der Entscheidung“. Viele Jugendliche, die sogar zwei Ausbildungsverträge unterschrieben haben, könnten nun wählen. In den kommenden Wochen würden deshalb immer wieder viele unbesetzte Stellen gemeldet werden. Zudem gebe es neben den noch offenen 4.100 betrieblichen Plätzen weitere 3.000 überbetriebliche Lehrstellen, die von Bund und Land finanziert werden. Ob das reicht, die Angebotslücke zu schließen, bleibt vorerst fraglich.

Auch die Industrie- und Handelskammer (IHK) bemüht sich nach eigenen Angaben redlich darum, Unternehmen vom Sinn der Ausbildung zu überzeugen. Offenbar zwingt die wirtschaftliche Lage viele Betriebe dennoch zu kurzfristigem Denken: „Wenn die Geschäfte schlecht gehen, wird weniger ausgebildet“, sagt IHK-Sprecher Stefan Siebner. Zudem seien in vielen Berufen die Anforderungen gestiegen, was die Suche nach geeigneten Azubis erschwere. „Etwa 15 Prozent aller Bewerber sind aufgrund mangelnder fachlicher und sozialer Kompetenz für eine Ausbildung gar nicht geeignet“, meint Siebner.

Noch deutlicher wird Almuth Draeger von der Berliner Handwerkskammer. „Viele Bewerber schreiben schlampige Bewerbungen, teilweise im SMS-Deutsch, andere haben Probleme, im Umgang zwischen Freunden und Erwachsenen zu differenzieren“, so Draeger. Problematisch auch: Viele sind nicht bereit, von ihrem Wunschberuf abzuweichen. Kfz-Mechaniker, Friseur und alles mit Computern sind nach wie vor die Hits. Bäcker, Fleischer oder Textilreiniger möchte dagegen kaum jemand werden.

Draeger glaubt dennoch, dass sich die Situation im Spätsommer entspannt. Viele Handwerksbetriebe würden sich traditionell erst sehr spät entscheiden, einen neuen Lehrling aufzunehmen. Denn: „Was den Handwerkern vor allem fehlt, das sind Aufträge“, so Draeger.

Gewerkschafter vermuten bei vielen Betrieben eher Ausbildungsverweigerung. DGB-Bezirksvize Bernd Rissmann kritisiert, dass entgegen allen Verabredungen noch immer gerade mal 30 Prozent aller zur Ausbildung befähigten Unternehmen tatsächlich ausbilden. „Offenbar sind die Appelle des Senats an die Wirtschaft bislang ohne Wirkung geblieben“, so Rissmann. Stattdessen habe die IHK die von den Firmen zu zahlende Prüfungsgebühr verdreifacht. Rissmann hält das für „kontraproduktiv“. Wenn die öffentliche Hand die berufliche Ausbildung nicht irgendwann komplett zahlen wolle, müsse man gegensteuern, so Rissmann. Stichwort: Ausbildungsumlage.

Vorerst bleiben den Lehrstellensuchern nur gut gemeinte Ratschläge. Die Handwerkskammer empfiehlt, sich mit einem Praktikum in Betrieben vorzustellen. Die IHK, nicht auf dem Traumberuf zu bestehen und mobil zu sein. Und das Arbeitsamt rät: Immer wieder nachfragen und die Hoffnung nicht verlieren.