Neuer Krieger-Kult

Der Mythos vom sanftmütigen, wohlmeinenden Soldaten: Der Starreporter des „Atlantic Monthly“, Robert D. Kaplan, hat ein besonders bemerkenswertes Stück Weltbeherrschungsprosa geschrieben

von ROBERT MISIK

Dass ein liberales Imperium besser ist als die Konkurrenz mehrerer, teils fragwürdig beleumdeter Mächte und dass ein ordnendes, hegemoniales Prinzip im Ergebnis lebenswertere Umstände produziert als der Mangel von Ordnung, an dieses Leitmotiv US-amerikanischer Weltdeutung konnten wir uns in den vergangenen Monaten schon gewöhnen. Freilich blieb die Kontroverse über das Für und Wider des imperialen Moments in der gegenwärtigen amerikanischen Situation bisher weitgehend im Grundsätzlichen stecken.

Jetzt hat sich Robert D. Kaplan, Starreporter des Atlantic Monthly, gewissermaßen dem Mikromanagement des Weltbeherrschens, Länderbesetzens und Einflussnehmens zugewandt. 14 eng bedruckte Seiten füllt die Coverstory, die der Kenner aller Krisenherde und Militärbasen-Habitués verfertigt hat: „Heimliche Übermacht“ lautet der leise Titel, dem eine laute Unterzeile beigestellt wurde: „Ten Rules for Managing the World“, „Zehn Regeln fürs Management der Welt“.

Was da als Rezeptliste daherkommt, ist eine wahrer Lobgesang auf die „guten Leute on the ground “, also vor Ort, die das praktische imperiale Alltagsgeschäft erledigen. „Schafft mehr Joppolos“, formuliert Kaplan als Regel Nummer eins. Victor Joppolo ist der Held eines bittersüßen Romans – „A Bell for Adano“ –, für den John Hersey 1945 den Pulitzerpreis erhielt. Joppolo, Italo-Amerikaner aus der Bronx, hatte mit durchgreifendem Feingefühl und pragmatischem Idealismus als US-Besatzungsoffizier in Sizilien die zarten Pflänzchen der Demokratie gehegt.

Es sind diese Joppolos, mit denen – so sieht Kaplan das – die Macht Amerikas steht und fällt. Denn eine Fehlentscheidung vor Ort kann die beste Strategie unterlaufen. „Wenn jemand von einem Hilfskonvoi Nahrungsmittel raubt, soll man dann schießen?“, formuliert Kaplan eine solche Frage, auf die ein Besatzungsoffizier gewissermaßen gewehrschussschnell eine Antwort finden muss. Von der viel abhängt: Sieht er tatenlos zu, bricht die Anarchie aus, erschießt er den Plünderer, bringt er die lokale Bevölkerung gegen sich auf.

Amerika solle, so lautet etwa Regel drei, „das Rom des 2. Jahrhunderts nachahmen“, die Sozialkompetenz und den Mentalitätenmix der Bindestrich-Amerikaner, der Afghano-, Irano-, Palästina-Amerikaner nützen, wie das die Römer mit den Talenten ihrer Provinzen taten. Denn – dieses Prinzip zieht sich von Regel eins bis zehn – entscheidend ist nicht, was sich Strategen in Washington ausdenken, sondern was die „guten Typen“ aus Army, Navy, Geheimdienst oder State Department im Busch, in den Wüsten, in den metropolitanen Häuserhöllen zwischen dem Jemen, der Wüste Gobi und Mogadischu daraus machen. Immerhin führen, rechnet Kaplan vor, Einheiten des US Army Special Operations Command in 65 Ländern Operationen durch. Zwischen Kolumbien und der Mongolei, auf vier Kontinenten, hat Kaplan den Jungs Besuche abgestattet und überall „Offiziere mittleren Dienstgrades“ vorgefunden, die die „wirklichen Entscheidungen zu treffen“ haben.

Typen, die das Herz am rechten Fleck haben. Raubeine, aber feinfühlige. Die schon mal im Alleingang als Berater ganze Armeen reformieren; die lokalen Elitesoldaten beibringen, wie man gegen Guerilleros kämpft; die ihnen aber auch geduldig nahe bringen, dass sie das Foltern besser lassen sollten, weil damit den Rebellen nur weitere Empörte zugetrieben würden. Die amerikanischen Supersoldaten müssen „in einem Moment tödliche Killer und im nächsten schon Humanisten sein“, zitiert Kaplan einen seiner Gewährsleute. Fingerspitzengefühl, Sprachkenntnisse, flinke kulturelle Übersetzungs- und Einfühlungsgabe – all das zeichnet den neuen American warrior aus. Kaplan: Das Gute in der Welt kann das „Resultat der Anstrengungen eines guten Mannes on the ground sein“.

Bei all dem kommt Kaplans Lobgesang nicht als Provokation daher, sondern fast leise und unkontrovers. Dass Demokratie möglicherweise als etwas gelten könnte, was sich die Völker selbst erstreiten sollten, kommt dabei gar nicht mehr in den Blick. Ja, Hinweise darauf klingen fast mäkelig, wenn doch wohlmeinende Offiziere mit viel Muskeleinsatz und nicht ohne Risiko selbstlos Stabilität in die rückständige Peripherie und an die Ränder der schwarzen Löcher des imperialen Orbits expedieren. Kleinere Widersprüche irritieren ebenso wenig: dass hier, beispielsweise, ein Typus besungen wird, der sich an die Regeln der Washingtoner Militärbürokratie nicht zu halten braucht, sondern sich hinter und jenseits der Fronten die Regeln selbst formuliert und trotzdem zum Aufbauhelfer eines Systems mit checks and balances werden soll.

Kaplan ist ein eher liberaler Reporter von hervorragendem Ruf, kein nassforscher Parteigänger der Neokonservativen. Und so ist sein neues, umstrittenes Stück auch nur ein, wenn auch ausgesprochen bemerkenswertes, Indiz eines Trends: der Verfertigung eines zeitgemäßen Mythos und gleichzeitig der Wiederauferstehung eines amerikanischen Urtypus. Die Special-Forces-Soldaten sind eine Art inverse Guerilla, die Ches des American empire. Auch hierzulande ist das nicht unentdeckt geblieben. Dass die neue Elitesoldatenliteratur Ergebnis einer „weltanschaulichen Konstruktion“ ist, „die das Anarchische im amerikanischen Selbstbild“ aufgreift, hat Bernd Greiner eben in einem hellsichtigen und fachkundigen Aufsatz über „Die amerikanische Guerilla“ in den Blättern für deutsche und internationale Politik ausgeführt.

Hier werden Realität, Mythos und PR mit teilweise recht grotesken Hintergründen zu einem bizarren Kriegerkult verrührt. Da werden Tote auch schon zu Ikonen stilisiert, von deren Ableben man früher wohl kaum ein Wort gehört hätte. Michael Spann, der erste Gefallene, den die USA im Afghanistankrieg zu beklagen hatten, war ein solcher Fall. Ein American boy aus der CIA-Special-Operations-Group, der auf der Seite von Warlord Dostums Leuten kämpfte, auf Pferden durch die Steppe galoppierte und ums Leben kam, weil die Taliban- und Al-Qaida-Leute eine Gefängnisrevolte anzettelten, als Spann gerade mit Verhören beschäftigt war.

Doch der Aufstieg des Mythos vom sanftmütigen, wohlmeinenden Krieger fügt sich auch bestens in einen grassierenden Paternalismus von der Art: hingehen, die Bösen aus dem Weg räumen, den grundsätzlich guten, wenngleich ein wenig hilflosen Eingeborenen zeigen, wie man’s macht – und dann wieder schnell nach Hause. Dass eine exportierte, geschenkte Ordnung – und sei sie die demokratischste – oft Widerstand erst provoziert, kommt aus solcher Perspektive freilich ebenso wenig in den Sinn wie die Frage, ob die Streitkräfte der zweifelsohne demokratischen Weltmacht USA nicht Gefahr laufen, sich mit dem Virus der Regellosigkeit und der Kriegermentalität zu infizieren, den sie gerade bekämpfen sollten, wenn der special operations guy zur paradigmatischen Leitfigur des zeitgenössischen Militärs stilisiert wird.

Wie groß diese Gefahr ist, hat womöglich Robert Kaplan mit seinem Lobgesang auf die zupackenden Majore und Leutnants ungewollt selbst bewiesen: Wenn ein bekanntermaßen kluger Denker solch etwas aufschreiben und auch noch ernst meinen kann, dann müssen gefährlich krause Mystifikationen die Köpfe zukleistern.