Grüne Idylle im Industrie-Sandhaufen

Senat und BIG freuen sich über ihr Waller Gewerbegebiet Bayernstraße. Die Kleingärtner, die da in den letzten Kaisen-Häusern ausharren, sind ein Dorn im Fortschritts-Auge. Die Kaisen-Auswohner aber freuen sich über die neue Ruhe

Die Kaisen-Auswohner sind ein Ärgernisim neuenGewerbegebiet„So etwas kriege ich doch nirgends wieder“, sagt der Rentner. Er bleibt, Kaisen sei Dank

Bremen taz ■ „Wir sind hier 1942 eingezogen“, sagt Adolf Smiech, „nachdem wir in Findorff ausgebombt worden waren.“ Im Laufe der Jahre ist aus dem Kleingarten-Häuschen ein ganzes Anwesen geworden, sorgsam bepflanzt und beharrlich gepflegt. Und innen mit viel Liebe ausgebaut – Smiech war Tischler von Beruf.

Wenn er heute in seinem Garten sitzt, blickt er auf die Chemiefabrik „DS Chemie“. An drei Seiten seines 500-Quadratmeter-Kleingartens sind die hohen Zäune der DS Chemie. Dieter Grundschöttel ist Hausherr der Festung, Geschäftsführer. „Beleidigt“ sei er, sagt er, wenn seine Firma als Chemiefabrik bezeichnet würde. Edle Kunststoffe stelle die DS-Chemie her, die für die Dichtungen von Cola- und anderen Flaschen benötigt werden. Die Dichtungen für 500 Millionen Flaschen werden pro Tag in Bremen an der Straubinger Straße hergestellt. Hier wächst das Gewerbegebiet Bayernstraße. Die Firma beschäftigt 140 Arbeitskräfte.

Rentner Smiech wohnt praktisch mitten auf dem Parkplatz von DS-Chemie, durch Maschendraht getrennt. Hier kommen die Mitarbeiter, aber auch die großen Lastwagen und laden die Säcke mit den Chemikalien ab. Dahinter das wuchtigte Firmengebäude, in der Ferne die Silos von DS-Chemie. Die anderen Kleingärten im „Gartensängerweg“ existieren nicht mehr, sie mussten dem Gewerbegebiet Bayernstraße weichen. Smiech ist der letzte, ihn kann man nicht vertreiben, weil in den 50er Jahren Bürgermeister Wilhelm Kaisen den Bremern, die im Krieg in ihre Gartenhäuschen umziehen mussten, versprochen hatte, sie dürften da weiter wohnen.

Es herrsche heute, 60 Jahre danach, nun wirklich keine Wohnungsnot mehr, schimpft Grundschöttel. Das Grundstück von Rentner Smiech ist ihm als Erweiterungsfläche zugesagt, „bis da hinten hin“, sagt Smiech und deutet weit hinter sich.

Im Moment braucht die DS-Chemie das Gelände nicht. Aber die Kaisen-Auswohner sind ein Ärgernis im neuen Gewerbegebiet Bayernstraße. Es liegt direkt am Autobahnzubringer Freihafen, drei Kilometer von der Stadt entfernt, also optimal. Und mittendrin hier ein Kleingärtner und da einer, fünf Kaisen-Auswohner an der Zahl.

Bausenator Jens Eckhoff war dieser Tage zur kleinen Feierstunde für das Gewerbegebiet gekommen, 12 Hektar sind mit Sand aufgeschüttet worden, drei Hektar davon sind schon verkauft. Er bleibt dem Unternehmer Grundschöttel die Antwort auf die Klage über die Kleingärtner nicht schuldig: Der Senat fühle sich an die Zusagen seiner Vorgänger gebunden, sagt er. Mit den Kaisen-Auswohnern sei ein „Interessenausgleich“ gefunden worden. 300 Kleingärtner mussten herausgekauft werden. Fünf sind geblieben.

Smiech wird auch weiterhin bleiben. Er hat sich an den Anblick des Zaunes gewöhnt. „Es ist doch ruhiger als vorher“, sagt er. Vorher, das waren die wilden Jahre, in denen Kleingärten nach und nach aufgegeben wurden und dann die Bauwagen mit ihren wilden Bewohnern kamen. Die sind weg, seitdem die Bagger das Gelände abgeräumt haben. Und die paar Autos, die auf den Parkplatz der DS-Chemie fahren, stören Smiech weniger als die Bauwagen-Gesellschaft. Er empfindet sein Reich am Gartensängerweg nach wie vor als Idylle. Seit 60 Jahren ist er mit ihr verwachsen. „So etwas kriege ich doch nirgends wieder“, sagt der Rentner. Jedenfalls nicht für das Geld, das ihm die Stadt als Entschädigung angeboten hat. Also bleibt er, Kaisen sei Dank.

Klaus Wolschner