Recht eigentlich historisch

Robert Schneider las in den Räumen des Aufbau-Verlags aus seinem noch unveröffentlichten Roman „Kristus“

Die Zeiten ändern sich. Als vor zwölf Jahren Robert Schneiders Roman „Schlafes Bruder“ erschien, konnte der deutsche Literaturbetrieb sich noch guten Gewissens über den unverhofften Erfolg eines jungen Schriftstellers freuen, dessen Debüt erst von 23 Verlagen abgelehnt und dann zu einem Bestseller wurde.

Als jedoch 1997 bekannt wurde, unter welchem Umständen Robert Schneider seinen zweiten Roman „Die Luftgängerin“ angeboten hatte, schlug die Freude in Entsetzen um. Schneider hatte nämlich nicht nur eine knappe Million Mark als Vorschuss gefordert, sondern auch einen elfseitigen Vertrag beigelegt, in dem er unter anderem einen Chauffeur forderte. In den Feuilletons erkannte man einen bedrohlichen Sittenverfall und bestrafte den vermeintlich habgierigen und geltungssüchtigen Schriftsteller mit Verrissen. „Die Luftgängerin“ gehört vermutlich zu den meistgehassten Büchern der letzten Jahrzehnte – und markiert innerhalb des deutschen Literaturbetriebs den Übergang zu einem neuen Paradigma. Der Boom der jungen deutschen Erzähler, der sich mit Schlagwörtern wie „Fräuleinwunder“ und „Pop“ verband, ging mit einem neuen Bewusstsein für Literatur als big business einher, und der Spiegel informierte minutiös über astronomische Vorschusszahlungen.

Auch diese kurze Epoche hat sich mittlerweile ihrem Ende zugeneigt. Die Zeit der großen Zahlen ist vorbei. Die Einsicht, dass auch ein literarisch einigermaßen anspruchsvolles Manuskript eine Ware ist, die geschickt platziert werden will, hat sich allerdings gehalten. Darum setzt der Werbefeldzug des Aufbau Verlags für Robert Schneiders neuen Roman frühzeitig ein. Obwohl das Buch erst am 24. August ausgeliefert wird, lud Verleger Bernd F. Lunkewitz bereits jetzt zu einer „geschlossenen Veranstaltung“ in die Verlagsräume am Hackeschen Markt, um Robert Schneiders historischen Roman über den Wiedertäufer Jan Beukel vorzustellen – den Mann also, der sich im Jahre 1534 in Münster an die Spitze einer radikalen reformatorischen Bewegung setzte: „Kristus“, findet Lunkewitz, müsse „auch als zeitkritischer Roman über den Fundamentalismus gelesen werden“. Robert Schneider überlässt solche Promotion ganz seinem Verleger. Nach dem Eklat um die „Luftgängerin“, so hört man, ist der Schriftsteller still und bescheiden geworden. Als vor vier Jahren sein dritter Roman „Die Unberührten“ erschien, gab es keine Interviews, und auch an diesem Abend liest er eine halbe Stunde ohne Kommentar.

Die altertümelnde Sprache hat natürlich nichts mit dem Deutsch der Reformationszeit zu tun: „Wahrlich“ und „wiewohl“, „recht eigentlich“ und „solcherweise“, aus solchen kleinen Einsprengseln formt sich der romantisierende Stil, mit dem Robert Schneider seit „Schlafes Bruder“ mal mehr, mal weniger Erfolg hat. In diesem Tonfall beschreibt er nun unter anderem die grausamen Strafen, mit denen die Wiedertäufer bedacht wurden, und erzählt von den Wundärzten, die „den Auftrag hatten, die Qualen der Gefangenen so lange und so maßvoll als möglich hinauszuzögern“. Solche Folterszenen lesen sich im Moment wirklich sehr „zeitkritisch“, aber die Rezenten haben ja noch bis Ende August Zeit, um herauszufinden, ob die fanatischen Muslime und amerikanischen Marines der Gegenwart tatsächlich in der gleichen Tradition stehen wie Jan Beukel und der Bischof von Münster.

Hoffentlich machen sie es auch. Besonders zahlreich sind die Journalisten an diesem Abend nämlich nicht erschienen. Immerhin ist Volker Panzer vom ZDF-„nachtstudio“ da, und Lunkewitz macht nach der Lesung mit seiner Digitalkamera ein Erinnerungsfoto von ihm. Robert Schneider dagegen ist schnell verschwunden. Vielleicht hat er Angst, selbst schon eine historische Figur zu sein.

KOLJA MENSING