Motzstraße wieder im Regenbogen

Was sich am Wochenende übers schwul-lesbische Stadtfest schiebt, ist ein einig Flanier- und Neugiervolk. Zum zwölften Mal wird rund um die Motzstraße getanzt, geschmaust und gebaggert – ganz ohne Opferrolle. Und so soll es auch sein

Für Bürger und Bürgerinnen, die auf alte Zeiten schwören und Metropolenalltag von heute für verdorben halten, wird die Gegend südlich des Nollendorfplatzes am Wochenende zur No-go-Area: überall Schwule, Lesben, Transen und Bisexuelle – und viele sehen noch nicht einmal so aus. Überhaupt könnte es bei der zwölften Auflage des lesbisch-schwulen Stadtfestes rund um die Motzstraße wieder so sein, dass man die Homos von den Heteros, die dort zu einem einig Flanier- und Neugiervolk werden, nicht die Spur unterscheiden kann. Kinderwagen werden geschoben – und offen bleibt, ob die Sprösslinge aus heterosexuellen Verhältnissen hervorgegangen sind oder schon aus lesbisch-schwulen Patchworkelternschaften.

Mit anderen Worten: Das Stadtfest, wie alle modernen Stadtfeste einst aus grünalternativer Weltanschauung („Alle Macht den Straßen“) geboren, wird wieder eine Feier der Vermischung. Man schaut und hofft beachtet zu werden. Man isst und trinkt und flaniert: Das ist der Sinn. Manchem mag dies säuerlich aufstoßen. Denn die vielen Infostände – schwule Soldaten, ÖTV, LSVD, die Grünen, SPD und alle anderen auch – gehören zwar dazu, sind aber eher schöne Orte der Kontemplation. Wo wirklich das Volk haust und schmaust und sauft, vor den schwulen und lesbischen Treffpunkten, wo es prall und deftig und angrabend zugeht, da ist kaum ein Durchkommen.

Und das ist auch ein gutes Zeichen für den Stand der Entdiskriminierung nicht heterosexueller Lebensformen: dass die Betroffenen ein gepflegtes, rauschhaftes Verhältnis zum Hier und Jetzt kultivieren. Frei von Opferstatus und schamvollen Coming-out-Dramen: Man ist Teil eines besonderen Ballermanns, man darf und will es sein. Keiner und keine wird davon abgehalten, sich dort zu inszenieren.

Natürlich, ohne Politik geht nix. Wie stünde man moralisch auch da, wenn es tatsächlich nur ein einziges queeres Besäufnis wäre, ein Ballermann ohne Metaphysik? Und so werden das Schwulenbewegungs-Urgestein Gerhard Hoffmann und Biggy van Blond auf dem Wilden Sofa mit Prominenten talken, mit Bürgermeister Wowereit ebenso wie mit dem Grünen Volker Beck: kritisch, freundlich – auf dass die Community weiß, wer den schwullesbischen Volkswillen am ehesten verkörpert.

Dass es an Lesben gerade im Politspitzenbereich fehlt, nun, das hat auch damit etwas zu tun, dass sie als Lesben nicht erkannt werden wollen. Kann ein Stadtfest etwas dafür, dass die Dinge noch nicht ganz so laufen, wie man es gern hätte? Kann es nicht. Vor zwölf Jahren, als sich noch keiner einen schwulen Regierenden vorzustellen wagte, war alles noch sehr anders. Und vielleicht outen sich ja auch Lesben irgendwann? Auf dem Stadtfest können sie wie alle anderen lernen, dass schwule oder lesbische Lebens- und Festverhältnisse sich, grob betrachtet, in nichts von heterosexuellen unterscheiden. Nur dass richtig reaktionäre Bürger und Bürgerinnen fehlen.

Aber mit denen ist ohnehin kein Staat mehr zu machen. Am Montagmorgen, das ist sicher, wird die Müllabfuhr allen Unrat beseitigt haben, der Lärm wird verflogen sein. JAN FEDDERSEN