Im Klartext

Nach dem glücklichen 2:2 gegen Kroatien weiß die Equipe tricolore, dass ein Zinedine Zidane allein nicht ausreicht

LEIRIA taz ■ Seit dem Start dieser Europameisterschaft konnte man den Eindruck gewinnen, Jacques Santini übe für den diplomatischen Dienst oder für ein Amt als Politiker. Der Trainer der französischen Nationalelf drosch eine Menge leerer Phrasen, schwadronierte viel und sagte wenig. Doch am Donnerstagabend lugten im Stadion Magalhães Pessoa von Leiria plötzlich klare Worte aus dem Strom schwieriger Sätze hervor: „… desaströs … haben uns erschüttern lassen … dumme Ballverluste … wurden gedemütigt …“

Man hätte glauben können, seine Equipe wäre soeben aus dem Turnier geplumpst. Dabei hat sie sich durch das 2:2 gegen Kroatien dem Viertelfinale angenähert: Ein weiteres Remis am Montag gegen die Auswahl der Schweiz, und der Cut wäre geschafft. Doch Santini war beunruhigt und seine Spieler ebenfalls. „Wir sind enttäuscht“, meinte Verteidiger Thuram, „wir waren nicht auf der Höhe.“ Sie hatten sich weit mehr vorgenommen und erneut nicht überzeugen können.

Wie beim 2:1 gegen die Briten, als Zidane in den letzten drei Minuten mit dem Zauberstab den Gesamteindruck verwischte, schrammten die Blauen an der Niederlage gerade so vorbei. Wieder gerieten sie in Rückstand, auch diesmal benötigten sie eine Standardsituation, kapitale Patzer des Gegners und sogar eine Fehlentscheidung des Schiedsrichters, um den Schaden gering zu halten. Noch immer hat das vermeintlich brillanteste Ensemble Europas kein Tor erspielt. Und erneut blieb der Fußballer, der allgemein als treffsicherster EM-Teilnehmer gehandelt wurde, erfolglos. Seit sieben Monaten und sieben Auftritten hat Thierry Henry die Kugel für sein Land nicht ins Netz befördert, dabei gelingt ihm das bei Arsenal London jedes Wochenende. Zuletzt war er im November in Gelsenkirchen gegen die DFB-Elf erfolgreich, bei jenem fabelhaftem 3:0, von dem Santini noch immer redet.

Für Arsenal stürmt Henry als einzige echte Spitze, in der Nationalelf muss er David Trezeguet an seiner Seite dulden, einen reinen Strafraumakteur, der am Donnerstag, abgesehen von seinem Treffer zum 2:2, ebenfalls enttäuschte. Auf die Flügel und ins Mittelfeld will Henry nicht ausweichen, schließlich möchte er Tore erzielen, nicht vorbereiten. In der Premier League lancieren ihn die Kollegen in Sekundenschnelle, in der Auswahl dreht Zidane immer erst ein paar Pirouetten. Die beiden Stars sind offenbar nicht kompatibel: Von Henrys 25 Toren hat Zidane bei rund fünfzig gemeinsamen Auftritten kein einziges vorbereitet, eine erstaunliche Statistik.

Dem Rest der Mannschaft tut Zidane aber gut, mehr noch: Sie hängt an seinem Tropf. Freilich hat sich Zidanes Stil verändert. Er ist vom Ideengeber und Kreativling zum Anführer und Spielentscheider geworden. Nach Prsos Treffer zum 1:2 trommelte er die Kollegen zur Vollversammlung an der Mittellinie zusammen, um sie aufzurütteln. „Wir müssen uns besser konzentrieren und schärfer angreifen, sonst wird’s eng“, soll er Trezeguet zufolge gerufen haben. Und zählt man das per Freistoß erzwungene Eigentor durch Tudor zum 1:0 hinzu, hat ZZ Top von den vier französischen EM-Treffern drei selbst produziert.

Es braucht schon in der Vorrunde Kraftakte des 32-Jährigen, denn von den Kollegen überragt derzeit nur Patrick Viera im defensiven Mittelfeld und vielleicht noch Fänger Barthez, der nach Beckhams Elfmeter fast auch den von Rapaic pariert hätte. Andere fallen komplett durch, so könnte man den alternden Kapitän Desailly in Leiria zum letzten Mal im blauen Sporthemd gesehen haben.

Zidane hätte am Montag sicher gern verschnauft, aber diesen Luxus können sich die Franzosen diesmal nicht leisten. Bei den erfolgreichen Kampagnen 1998 und 2000 wurden er und andere Hauptdarsteller nach zwei Siegen geschont und Ergänzungspersonal aufgeboten. Diese Maßnahme stärkt auch den Teamgeist, was diesmal ebenfalls gefragt gewesen wäre. So ist Willy Sagnol merklich angefressen, dass ihm rechts hinten Gallas vorgezogen wird und er wieder nur als Einwechsel-Joker herhielt: „Was kann man in neun Minuten schon machen“, knurrte der Verteidiger von Bayern München und blies abfällig durch die zusammengepressten Lippen: „Pfff“, machte es, und das war fast so klar zu verstehen wie die Worte Santinis. RALF ITZEL