: Wo die Götter-Clique thronte
Eine Wanderung auf den Olymp im Norden Griechenlands. Dort in 2.918 Meter Höhe auf dem Olymp, was nichts anders bedeutet als Berg, war einst die Götterzunft gut aufgehoben. Die Götterburg ist heute von Wanderwegen durchzogen
VON HANS BAHMER
Als sich die alten Griechen ihre Götter schufen, da nahmen sie sich selbst zum Vorbild. Das Ergebnis dieses Schöpfungsaktes war eine Götterclique, die alle Macken des Menschengeschlechts aufwies, so handelte, sich aber darüber hinaus noch durch göttliche Allmacht auszeichnete. Wohin mit dieser gefährlichen Göttergang mögen sich ihre Schöpfer nach dem ersten Schrecken vielleicht gefragt haben? Am besten dahin, wo der Pfeffer wächst! Im antiken Griechenland bot sich der höchste Berg als idealer Verbannungsort an, zumal der Kalk- und Dolomitmarmor-Gipfel in vorgriechischer Zeit bereits Sitz von Göttern war. Dort in 2.918 Meter Höhe auf dem Olymp, was nichts anders bedeutet als Berg, war die Götterzunft gut aufgehoben.
Wer die Wohnstätte der Götter besuchen möchte, muss sich in den Norden Griechenlands begeben. Knapp hundert Kilometer südlich von Thessaloniki, bedeckt das höchste Gebirgsmassiv Griechenlands, der Olymp, eine Fläche von 40 mal 30 Kilometer. Konnte der deutsche Ingenieur Die Götterburg heute durch Wanderwege voll erschlossen und lockt Besucher aus der ganzen Welt. Die meisten begegnen sich schon in Lithochoro, das zum Ausgangspunkt der Olymp-Wanderer geworden ist. Geht man dort die Nikolausstraße bis zur Kirche des heiligen Nikolaus vor, kann man bei gutem Wetter die Vithos-Schlucht hinaufschauen und mit etwas Glück bis zum Pantheon blicken.
Der moderne Mensch hat sich längst von der antiken Göttergarde befreit und nutzt diese nur noch für die Produktion geeigneter Souvenirs. Den Wanderer durch die Vithos-Schlucht, durch welche die Wasser des Enipeas vom Olymp ins Tal stürzen, verfolgen aber Götter und Gott auf Schritt und Tritt. Als Flussgott verwandelt, verführte Poseidon einst eine bildhübsche Königstochter, worüber sich der Süßwassergott bei Zeus beschwerte, von diesem aber, da er mit dem Meeresgott unter einer Decke steckte, verflucht wurde. Seit dieser Zeit trägt der Wasserlauf den Namen Enipeas, was der Verfluchte bedeutet, und endete zur Strafe nicht mehr im Meer, sondern in einem Sumpf, der längst trocken gelegt wurde.
Auch ohne Götterrache würde heute wegen der intensiven Wassernutzung kein Tropfen des Bergbachs mehr das Meer sehen. Auf der einsamen fünfstündigen Wanderung auf einem wie auf einer Achterbahn auf- und abführenden Weg durch die bewaldete Schlucht begleiten einen nur das Rauschen des Bachs und das schrille Zirpen der Zikaden. Irgendwann führt der Weg an der Höhle des Heiligen Dionysius vorbei, Gründer des gleichnamigen Klosters, das einst von der deutschen Besatzungsmacht gesprengt wurde. Seit der Heilige hier hauste, sprudelt aus dem Felsen Wasser, dem allerlei geheimnisvolle Kräfte nachgesagt werden. „Das Wasser, das ihr Leben verlängert“, ist dann auch schon ein Werbespruch, mit dem ein griechisch-französisches Unternehmen, das olympische Enipeas-Wasser als Mineralwasser zu verhökern denkt. Das wahre Wunder aber ist die Verwandlung des vom Olympgipfel stammenden Wassers, sozusagen das Abwasser des Götter-Penthouses, in geweihtes Wasser, das hier unten aus dem Felsen fließt.
Hinter der schattigen Vithos-Schlucht sind es noch einmal gut 6 Kilometer bis zur Hütte auf 2.100 Meter. Mit der Höhe tritt der Wald immer mehr zurück. Zedernwacholder und Buchsbaumsträucher werden die neuen Begleiter und bestimmen mit ihren Ausdünstungen auch den Duft der Bergluft. Verschwunden sind die schrillen Zikaden. Milde zirpende Heuschrecken haben sie ersetzt. Ebenso ist es mit der Einsamkeit vorbei, denn neben den 6.000 bis 8.000 Personen, die während der Saison in der Hütte übernachten, sind noch die Tagesausflügler auf dem Weg nach oben unterwegs. Der naturferne Besucher wird auf jeden Fall rührend umsorgt, wurden doch an jeder Tollkirschenstaude am Wegesrand mehrsprachige Schilder angebracht, auf denen vor dem Verzehr der verlockend leuchtenden, aber giftigen Früchte gewarnt wird. Von der Hütte aus sind die Gipfel des Göttersitzes schon zum Greifen nahe und heben sich verführerisch vom blauen Himmel ab.
Gut die Hälfte der Besucher steigt bis zum Mytikas, dem höchsten der Olympgipfel auf. Heute von so vielen Besuchern erklommen, war der Berg lange Zeit ein Tabu und wurde offiziell zum ersten Mal 1913 von zwei Schweizer Alpinisten in Begleitung eines Griechen bestiegen.
Die Nähe zum Meer macht das Olympmassiv zu einer Wetterküche mit sich schnell verändernden Wetterbedingungen. Allein in der Vithos-Schlucht werden jährlich bis zu 2.000 Blitzeinschläge gezählt. Unter den mächtigen Panzerkiefern, die bis auf über 2.000 Meter Höhe die Olymphänge besiedeln, ist kaum eine dabei, deren mächtiger Leib nicht die Spuren von Blitzeinschlägen zeigt. Man kann sich gut vorstellen wie Zeus seinerzeit die den Hang hinaufstürmenden Giganten mit seinen Blitzen empfing. Zeus und Co. haben den Kampf gegen die Giganten gewonnen. Den Panzerkiefern dagegen scheinen die Blitzattacken nicht viel auszumachen. Aus den angekohlten, oft zerborstenen Baumkörpern sprießt immer irgendwo wieder frisches Grün hervor.
Oberhalb von 2.300 Meter durchwandert man einen überdimensionalen alpinen Steingarten. Wer schließlich den Skala getauften Berggrat erreicht hat, schaut in einen schwindelerregenden Abgrund, aus dem der Göttersitz emporragt, blickt bis zum Eliasgipfel, der einst von den Mönchen unten im Kloster für die höchste Spitze des Olymps gehalten wurde und nach dem damaligen Brauch den Namen des Propheten erhielt.
Waren es einst die Mönche des Dionysius-Klosters, die diesen Gipfel zu bestimmten Anlässen bestiegen, so kommen heute die Bergsteiger, denen Elias, der mit einem Feuerwagen gen Himmel fuhr, inzwischen als Schutzheiliger dient. Von der Skala bis zum Hauptgipfel ist es noch gut eine Stunde Weg, den man oft genug wegen seiner Steilheit auf allen Vieren zurücklegt. In dieser Demutshaltung kommt man, ganz wie es sich für den Eintritt in einen Götterpalast ziemt, schließlich auf dem Gipfel an und hat erfahren, was es bedeutet, „vor den Erfolg haben die Götter den Schweiß gesetzt“.
Der Sterbliche, den die Götter in den Olymp gehoben haben, hat alles erreicht, was zu erreichen war. Da dieser Zustand oft genug mit Überheblichkeit, frevelhaftem Übermut und Vermessenheit einhergeht, symbolisiert der Olymp auch diese Begriffe. Welchen Olymp man auch immer erklommen hat in seinem Leben, eines steht fest: ist man oben angekommen, kann es nur noch bergab gehen.