Tod eines Waffenexperten erschüttert Blair-Regierung

David Kelly, britischer Regierungsberater für die Waffensuche im Irak, wird tot aufgefunden. Verteidigungsministerium hatte ihm die Schuld an kritischem BBC-Bericht zugeschoben

BERLIN taz ■ Eine Schlüsselfigur in der britischen Debatte um die Rechtfertigung des Irakkrieges ist gestern unter mysteriösen Umständen tot aufgefunden worden. Die Polizei fand am Vormittag die Leiche von David Kelly, Regierungsberater für irakische Massenvernichtungswaffen im britischen Verteidigungsministerium, in der Nähe seines Hauses in Oxfordshire, nachdem seine Frau ihn am Vorabend als vermisst gemeldet hatte. Die Leiche trage Kellys Kleidung und stimme mit der Beschreibung des 59-Jährigen überein, teilte die Polizei mit und sprach seiner Familie ihr Beileid aus. Zur Todesursache sagte sie nur, er sei nicht an Schusswunden gestorben. Informell war davon die Rede, Kelly habe sich möglicherweise erhängt. Er wurde jedoch am Boden liegend aufgefunden.

Kelly leitete 1984 bis 1992 das führende Labor des britischen Militärs für biologische Kriegsführung im Forschungskomplex Porton Down und war 1994 bis 1999 Chefberater der UNO zu Iraks B-Waffen-Programmen. Seitdem arbeitet er als Berater im britischen Verteidigungsministerium. Dieses hatte ihn letzte Woche als mögliche Quelle für einen umstrittenen BBC-Bericht genannt, wonach Tony Blairs Sprecher Alastair Campbell im September in einen Regierungsbericht die unbewiesene Behauptung habe einfügen lassen, Irak könne binnen 45 Minuten Massenvernichtungswaffen aktivieren. Der Bericht hatte zu einer parlamentarischen Untersuchung geführt. Kelly hatte diese Woche vor dem außenpolitischen Ausschuss des Unterhauses bestritten, die Quelle dafür zu sein, und die BBC hatte ihren Informanten nicht genannt. Die Opposition kritisierte danach, die Regierung habe Kelly unter Druck gesetzt und ins offene Messer laufen lassen.

Am Donnerstagnachmittag war Kelly auf dem Land bei seinem Heimatort Abingdon spazieren gegangen. Als er kurz vor Mitternacht immer noch nicht zurück war, alarmierte seine Frau die Polizei. Die Leiche wurde kurz nach neun Uhr früh auf einem abgelegenen Fußweg an einem Waldrand gefunden.

Die Entwicklung dürfte in Großbritannien eine schwere Regierungskrise herbeiführen. Die Regierung kündigte gestern eine unabhängige richterliche Untersuchung der Umstände von Kellys Tod an. Das Vertrauen in die Regierung Blair ist an einem Tiefpunkt angelangt, nachdem die britische Öffentlichkeit immer weniger den Beteuerungen des Premierministers glaubt, Saddam Hussein habe aktive Programme zur Herstellung von Massenvernichtungswaffen verfolgt. Blair erfuhr von Kellys Tod im Flugzeug von den USA nach Japan. Am Donnerstag hatte er sich in einer Rede vor dem US-Kongress erneut verteidigt. D.J.

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