Idyll als Markenzeichen

Landschaft und Lebensraum Berlin als zentrale Themen: Landdrostei Pinneberg präsentiert in der Schau „Very British“ 14 KünstlerInnen

Zersplitternde Wahrnehmung: Berliner Stadtplan in 38 Einzelteile zerschnittenAus dem tragischen Leben eines domestizierten Wellensittichs: Erst im Tode wirklich frei

von HAJO SCHIFF

Es ist einer der wenigen Fälle, in denen der Blick aus dem Fenster mit den Motiven der ausgestellten Kunstwerke harmoniert: Reste eines englischen Landschaftsgartens sieht man bekanntlich durch die gerafften Stores der Pinneberger Drostei; Gemälde ebensolcher Gärten sind derzeit im Rahmen der Ausstellung Very British zu sehen. Dabei scheinen die Parkausschnitte in lichtem Grün durch die harten Farbkanten, die den gemalten Bildern den Charakter von Siebdrucken geben, wie ein Rückgriff auf die Pop-Art. Zudem lassen sie unterschwellig vermuten, dass sich hinter der gepflegten Kultivierung möglicherweise krude Dinge verbergen.

Mike Silva, der in England ausgebildete und in London lebende Maler, wurde zwar 1970 in Schweden geboren, zählt aber gleichwohl zu den vierzehn Künstlerinnen und Künstlern, denen die aktuelle Ausstellung in der Drostei gewidmet ist. Ein Titel, der Klischees evoziert. Prompt ist im Besucherbuch zu lesen: „Habe es mir britischer vorgestellt...“ Die Enttäuschung, spezielle Labels des „typisch Britischen“ nicht wiederzufinden, trifft einen wunden Punkt des Kunstbetriebs: die mangels anderer Kriterien heute allzu übliche nationale, oft gar regionale Einsortierung. In offenbarem Gegensatz zur Internationalisierung behaupten Künstlerförderprogramme oft eine Heimatbindung, die – außer in den Biographien der Künstler – kaum zu belegen ist. Dennoch bleibt das Spiel mit Klischees amüsant, auch wenn es inzwischen in der Kunstproduktion weit weniger nationale Unterschiede gibt als in der Kritik. Zwei Schwerpunkte hat die in Pinneberg präsentierte Kunstauswahl zwischen freiem Gestus und konzeptuellem Ansatz, zwischen Pop-Ästhetik, eher privater Fotografie und fast altmeisterlicher Zeichnung: eine aktuelle Sicht auf Landschaft und das Thema Berlin – die Hälfte der hier ausgestellten Künstlerinnen und Künstler leben dort zur Zeit. Die manchmal etwas verwirrende Hauptstadt hat Lenka Clayton persönlich neu geordnet. Sie hat einen fünf Quadratmeter großen Berlin-Plan säuberlich in alle Bestandteile zerschnitten und in 38 Kategorien auseinandersortiert: Wasser, Grünanlagen, Parkhäuser oder alle Kirchen.

Bei George Barber spiegelt sich die Stadt in futuristisch gezeichneten, übervollen Architekturphantasmen in gebrochenen Perspektiven. Da lockt die Flucht in die harmonischen Bauernlandschaften von Matthew Smith. Doch seine kolorierten Zeichnungen zeigen bloß die Idyllen, die zum Markenzeichen von Milchprodukten geworden sind. Mit der Werbewelt der Lebensmittel haben ursprünglich auch die starkfarbigen seriellen Bildtafeln von Ann Noel zu tun. Titel wie in vino veritas oder Jeden Tag eine kleine Epiphanie deuten an, dass die fünffarbigen runden Formen vergrößerte Abdrücke von Weinkorken sind. So werden die eingebrannten Markenembleme zu einer nicht enden wollenden Allegorie des Rausches.

Fünfmal ist in der Auswahl die Fotografie vertreten: neben etlichen Bildern aus dem immer fotogen im Umbau befindlichen Berlin ist hier am eindrücklichsten die trockene Ablichtung englischer „Glamour Studios“ durch Bridget Smith. Es ist zu ahnen, was die Hintergrundfolien in diesen Aufnahmestudios schon gesehen haben, entdeckt man ganz am Bildrand das kleine Schild „You must not use baby oil when modelling on the backdrops!“ Die bekannteste Künstlerin dieser Auswahl ist die bereits für den Turner-Preis vorgeschlagene Tacita Dean. Sieben Fotogravuren widmet sie dem Leben eines Wellensittichs, der erst im Tod sein Haus ohne Gitter vorfindet und schließlich liebevoll in einer alten Schachtel bestattet wird.

Very British: George Barber, Francis A. Blane, Lenka Clayton, Tacita Dean, Tim Hadfield, John Hilliard, Walker/Hill, David Mackintosh, Catherine Marshall, Ann Noel, Mike Silva, Bridget Smith, Matthew Smith, Stephen Wilks. Mi–Sa 11–16 Uhr. Stiftung Landdrostei, Dingstätte 23, Pinneberg; bis 17. 8.