Brausende Thesengewitter

Wenn die Feuilletonisten zuschlagen: Couchpotatoes Abenteuer im Fernsehland

Wir Couchpotatoes haben alles, was wir fürs Leben brauchten, vom Fernsehen gelernt

Regelmäßig trifft sich unser kleiner Kreis dort, wo es billig ist, zum Mittagessen. Die Gruppe besteht aus Versagern, Nichtskönnern, Tagträumern – Provinzbohemiens, wenn man es höflich ausdrücken möchte. Was man nicht muss, wir sind da nicht empfindlich. In puncto Bildung zahlen wir mit kleiner Münze, waren selten jenseits der Stadtgrenze, haben nur wenig von der Welt gesehen. Alles, was wir fürs Leben brauchten, haben wir wenn schon nicht allein von „Star Trek“, so doch vom Fernsehen gelernt. Und noch immer sind wir bekennende Couchpotatoes.

Willig lassen wir uns ob unserer unleugbaren Beschränkung das Weltgeschehen gern von anderen erklären. Frankfurter, Hamburger oder Münchner Feuilletons verhelfen uns zu Durchblick und Einsicht. Sei es Michel Friedmans Schneetreiben, die Umwandlung der IG Metall in einen Vertriebenenverband, Gerhard Schröders persönlicher Italowestern – wir wünschen uns in jedem Falle mehr davon. Nicht nur der erbaulichen Weiterbildung wegen, auch aus hygienischen Gründen: Bleiben derlei umstürzlerische Begebenheiten aus, wie es sich gegenwärtig angesichts der sommerlichen Themenflaute abzeichnet, wird folgendes geschehen: Die Schwerdenker und Stirnrunzler fallen in ihrer unbändigen Analysierwut über das Naheliegendste her – das Fernsehen.

Nehmen wir nur mal das brausende Thesengewitter, vor dem wir uns wegducken mussten, als kürzlich Harald Schmidt sich und seinen Mitarbeitern freiwillig Überstunden aufbürdete. Blindlings plapperten alle des – von unserer Tafelrunde hoch geschätzten! – Meisters Wort von der Einführung der Fünftagewoche nach, um im Weiteren uns niederen Lebensformen den damit verbundenen Paradigmenwechsel darzulegen. Dabei waren es doch wir hartnäckigen Gesamtgucker, die die „Harald Schmidt Show“ von Anfang an treu verfolgt haben. Deshalb wissen wir noch, dass Schmidts trendgerechte Arbeitszeitverlängerung eine Rückkehr darstellt, einen Rekurs auf die Anfänge der Sendung, die bis zum Sommer 1996 auch samstags, mithin fünf Tage pro Woche zu sehen war. Nehmen Sie diese Information als Prüfstein für den Feuilletonisten Ihres Vertrauens – hat er darauf hingewiesen, hat er davon gewusst?

A propos Harald Schmidt. Auch die kürzlich erschienene, in weiser Voraussicht unautorisiert gebliebene Biographie des Entertainers war Thema in den Feuilletons. Einige Schriftgelehrte hatten es augenscheinlich besonders eilig mit der Lektüre. Denn nur einem flüchtigen Kreuz- und Querlesen kann es geschuldet sein, dass das vor gedanklichen und sachlichen Fehlern nur so strotzende Buch vereinzelt mit Wohlwollen bedacht wurde. Jedoch muss eine Hagiographin, Feuilletonistin auch sie, schon außerordentlich lasch, lau und liederlich vorgehen, um Max Goldt eine „wöchentliche Kolumne“ in der Monatszeitschrift Titanic nachzusagen.

Obendrein wissen wir passionierten Bildschirmbeobachter selbstverständlich aus dem Stand und ohne jemanden anzurufen, dass Jürgen von der Lippes WDR-Reihe „So isses“ und nicht „Wat isses“ hieß und im Gegensatz zur Behauptung der Autorin ohne Häme auskam, der moderate Gastgeber stattdessen, so von der Lippe zu Beginn der Premierenausgabe, die ganze Angelegenheit in absichtsvollem Kontrast zu den damaligen Talkshow-Usancen „unheimlich lieb“ aus- und durchzuführen trachtete. Sein explizit geäußertes Ziel: „Gegen mich wird Max Schautzer der reinste Killer sein.“

Auch die momentan rundum und auf allen Kanälen statthabende Suche nach Nachwuchsbegabungen aller Art blieb in den Feuilletons nicht unkommentiert. Da wurde dann unter anderem das Auftreten von „Amateur-Kandidaten“ als unvordenkliches Phänomen annoncierend annotiert. Was in unserem Speisekreis die Frage aufwarf, wen denn Peter Frankenfeld auf die Bühne lotste, als er bereits 1953 als Conferencier die Reihe „Wer will, der kann. Die große Talentprobe für jedermann“ in voller Bildschirmbreite durchzog. Ob ihm, der über die Jahre viele ähnliche Sendungen anstiftete, seinerzeit womöglich Profikandidaten zu Willen waren? Nebenbei: Die fernsehöffentliche Talentsuche wird am 29. August 50 Jahre alt. Möge dieses Jubiläum an den Feuilletons vorübergehen.

Selbstverständlich nähren Dummheiten der zitierten Art unsere Gespräche bei Tisch. Die eine schüttelt den Kopf, der andere zuckt mit den Schultern, der Dritte verschluckt sich. Das kann im schlimmsten Falle tödlich enden. Darum appellieren wir Couchpotatoes, für die das Fernsehen ein billiges Vergnügen darstellt, weshalb es so maß- wie wahllos wegkonsumiert wird, an alle Generaldeuter und Universalexegeten, das Schwadronieren über das Fernsehen umgehend einzustellen. Weil uns unser bescheidenes Leben durchaus lieb ist. HARALD KELLER