Entführter in Dschenin wieder frei

Palästinenserpräsident Arafat interventiert nach der Entführung des Gouverneurs der Stadt durch die Al-Aksa-Brigaden. Der Zwischenfall erfolgt vor der ersten Auslandsreise von Premier Mahmud Abbas. Treffen mit Scharon ohne offizielle Ergebnisse

aus Jerusalem SUSANNE KLNAUL

Auf Einwirken von Palästinenserpräsident Jassir Arafat ist der am Wochenende entführte Bürgermeister Dschenins, Haidar Irschaid, nach mehreren Stunden freigekommen. Irschaid war von ca. 20 Aktivisten der Fatah-nahen Al-Aksa-Brigaden auf offener Straße schwer misshandelt und verschleppt worden. Deren Anführer, Sakaria Subejdi, nannte ihn einen „Kollaborateur“, der „seinen Männern Befehl zur Exekution von Mitgliedern der Al-Aksa-Brigaden gegeben hat“.

Die palästinensische Autonomiebehörde bedauerte den Zwischenfall, nahm aber zunächst keine Verhaftungen vor. „Die Region untersteht noch immer den israelischen Besatzungstruppen“, sagte ein Sprecher des Präventiven Sicherheitsdienstes auf Anfrage. Der Eklat in Dschenin ereignete sich einen Tag vor dem gestrigen Treffen zwischen dem palästinensischen Premier Mahmud Abbas (Abu Masen) und Israels Regierungschef Ariel Scharon, dessen Ergebnisse nicht offiziell mitgeteilt wurden.

Die Tatsache, dass die Entführer von Arafat forderten, Irschaid vor Gericht zu stellen, und ihn dann auf Befehl Arafats freiließen, zeige, so Dr. Joram Meital vom Institut für Nahoststudien an der Ben-Gurion-Universtität, dass der Palästinenserpräsident „die zentrale Instanz für sie ist“ und Arafat „noch längst nicht passé ist“. Innerhalb der palästinensischen Führung finde ein „politischer Krieg“ statt, bei dem es Arafat um sein politisches Überleben gehe. Abu Masen selbst „fängt an zu verstehen, dass es anders läuft, als er es sich vorgestellt hat“. Die Fatah-Führung beschneide seine Kompetenzen, gleichzeitig bleibe die von israelischer Seite erhoffte Rückendeckung aus.

Abu Masen werde sich deshalb vor seiner geplanten ersten Auslandstournee „den Segen Arafats einholen“, meint Meital. Auf der politischen Agenda stehen ganz oben die Reisefreiheit für den Palästinenserpräsidenten, die Amnestie politischer Häftlinge sowie die Räumung so genannter Siedlungsvorposten. Laut der liberalen Tageszeitung Ha’aretz gibt sich die israelische Regierung in der Häftlingsfrage inzwischen deutlich kompromissbereiter. Scharon erwäge die schrittweise Entlassung von 4.000 Inhaftierten, von denen die erste Gruppe im Anschluss an die Reise Abu Masens nach Washington freikomme.

Der palästinensische Premierminister trifft am Freitag mit US-Präsident George W. Bush zusammen, bei dem er vermutlich auf einen konkreten Zeitplan zur Umsetzung des internationalen Friedensplans („Roadmap“) dringen wird sowie auf den Einsatz von „ernst zu nehmenden Beobachterdelegationen“. Beide Punkte seien Voraussetzung für einen Erfolg des Friedensplans, so Meital. Der Nahostexperte warnt, dass „der Prozess im Sande verlaufen könnte, wenn er sich zu lange hinzieht“. Scharon macht hingegen aus seiner Intention, die Implementierung der „Roadmap“ hinauszuzögern, keinen Hehl. Scharon wird am Samstag nach Washington reisen.

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