Das Ränkespiel von Politik und Medien geht weiter

Britische Zeitungen nennen Kelly ein „Opfer politischer Schachzüge“. Blair-Vertrauter Peter Mandelson bezichtigt die BBC, einen persönlichen Krieg gegen Blairs Sprecher zu führen

DUBLIN taz ■ Tony Blair dürfte ein Stein vom Herzen gefallen sein. Das Eingeständnis der BBC, dass David Kelly tatsächlich die Quelle für Andrew Gilligans Behauptung war, die britische Regierung habe die vom Irak ausgehende Gefahr in einem Dossier vom September vorigen Jahres übertrieben, lasse den Selbstmord des Wissenschaftlers in einem anderen Licht erscheinen, hoffen Blair und sein Kabinett.

Bis zur BBC-Presseerklärung war für die meisten Zeitungen die Sache klar. „Ein ehrlicher, scheuer Beamter, von einer bösartigen, unmoralischen Regierungsmaschinerie brutal zerfleischt und dann ausgespuckt, hat ein tragisches Ende erlitten“, schrieb die Daily Mail und verlangte den Rücktritt der Regierung. Auch der Daily Mirror forderte, es dürfe „kein Mitleid mit den Bluthunden“ geben, die Kelly in den Tod getrieben haben. Nur die Sun, Medienzar Rupert Murdochs Kampfblatt, war ungewöhnlich zurückhaltend. Sie stellte lediglich die offenen Fragen zur Diskussion und dankte Blair für die Einsetzung einer Untersuchungskommission.

Die meisten Qualitätszeitungen fuhren dagegen schweres Geschütz auf. Der Guardian bezeichnete Kelly als „Opfer politischer Schachzüge“ – einschließlich deren einer „rachsüchtigen und ausweichenden Regierung“. Für den Independent ist Kelly gar ein Kriegsopfer.

Dass Kelly tatsächlich die Quelle für den BBC-Bericht war, ist zwar erleichternd für Blair und seinen Kommunikationschef Alastair Campbell, aber aus dem Schneider sind sie damit nicht. Schließlich tragen sie die Mitschuld an einer Affäre, die die Proportionen vollkommen missachtet habe, findet der Observer: „Es ging bei dem ganzen Thema doch lediglich um einen umstrittenen Teil in einem Bericht eines Journalisten in einer Radiosendung. Die Art, mit der die Figuren in diesem öffentlichen Spektakel ihre Interessen verfolgt haben, ist übertrieben, hässlich und voll Gewalt.“

Doch das politische Ränkespiel geht weiter. Obwohl der Premier um Zurückhaltung auf allen Seiten bat, griff Blairs enger Vertrauter Peter Mandelson die BBC scharf an. Er beschuldigte die BBC, das Verhältnis zwischen Regierung und Medien zu vergiften. In einem Interview mit dem Observer sagte Mandelson, die Berichterstattung der BBC sei „nicht gut genug“. Der Generaldirektor Greg Dyke und der Aufsichtsratsvorsitzende Gavyn Davies haben ihren Ruf wegen einer unwahren Geschichte aufs Spiel gesetzt, meint Mandelson. Der Sender sei in seinem persönlichen Krieg gegen Campbell geradezu besessen gewesen.

Mandelson, der aufgrund finanzieller Unregelmäßigkeiten als einziger Minister zweimal aus einem Kabinett zurücktreten musste, will mit seiner Attacke den Premierminister schützen, glaubt der Observer, und das kritische Augenmerk auf die BBC lenken. Gilligan sagt, er habe ausführliche handschriftliche Aufzeichnungen von seinem Treffen mit Kelly. Der Wissenschaftler hatte jedoch bei seinem Verhör erklärt, der Reporter habe einen Minicomputer benutzt. Die BBC bleibt dabei, dass Gilligan das Gespräch mit Kelly akkurat wiedergegeben habe. Beweisen kann das niemand mehr, widerlegen allerdings auch nicht. RALF SOTSCHECK