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: Weitermachen wie bisher kann Tony Blair nach Kellys Selbstmord nicht mehr

Es ist die schwerste Krise seiner Amtszeit, und noch ist unklar, ob Tony Blair sie übersteht. In seiner eigenen Partei hat sich so viel Hass auf den britischen Premierminister aufgestaut, dass sich jetzt eine Flutwelle von Rücktrittsforderungen über ihn ergießen wird. Sie hat mit dem Selbstmord des Waffenexperten David Kelly weniger zu tun als mit dem ungelösten Streit um die Berechtigung des Krieges gegen Saddam Hussein im Irak. Zudem haben viele Labour-Mitglieder den Wunsch, ihrem Premier endlich einmal einen Denkzettel zu verpassen. Eine solche Schlammschlacht böte wiederum Blair die goldene Gelegenheit, den Staatsmann zu spielen und um Zurückhaltung aus Achtung vor dem Verstorbenen zu bitten. Das alles ist ein trauriges und zynisches Spiel, ein Beweis dafür, wie sehr Großbritanniens politische Kultur unter New Labour verkommen ist.

 Verantwortung liegt in dieser Affäre bei allen. Die Regierung hätte einfach den Mund halten können, nachdem die parlamentarische Untersuchung über die Herkunft des umstrittenen Irak-Dossiers für sie günstig ausgegangen war. Stattdessen hackte sie weiter auf der BBC herum, die den Vorwurf der Manipulation erhoben hatte. Außerdem machte sie den Namen ihres angesehenen Experten David Kelly als mögliche Quelle der BBC öffentlich und setzte diesen damit großem Druck aus, der ihn offensichtlich überforderte. Die BBC wiederum hätte ihren Bericht über angebliche Manipulationen von Geheimdienstinformationen durch die Regierung nicht unter Hinweis auf eine einzige ungenannte Quelle senden dürfen. Und als daraus eine Staatsaffäre wurde, hätte sie zur Aufklärung beitragen sollen, statt schweigend zuzuhören, wie Kelly bestritt, die Quelle gewesen zu sein, während seine Regierung genau davon ausging. Informantenschutz nützt nichts mehr, wenn ein Informant durch die öffentliche Debatte um seine Rolle in den Selbstmord getrieben wird.

 Aber gegenseitige Schuldzuweisungen helfen nicht weiter. Die britische Regierung müsste jetzt endlich tun, was sie bisher verweigert hat: eine vollständige unabhängige Untersuchung der Vorgeschichte des Irakkrieges anordnen. Und natürlich geht es nicht, dass einfach alle weitermachen, als wäre nichts gewesen – ob Andrew Gilligan als BBC-Korrespondent für Verteidigungspolitik, Alastair Campbell als Chefsprecher des Premierministers, Geoff Hoon als Verteidigungsminister oder auch der Premierminister selbst. Wenn Blairs Regierung die jüngsten Ereignisse nicht für gewöhnliche Vorkommnisse im Regierungsgeschäft hält, muss sie daraus auch für sich selbst außergewöhnliche Konsequenzen ziehen. DOMINIC JOHNSON