Kameras beschränken Freiheit

betr.: „Videoprojekt spaltet Kölner Ratskoalition“, taz vom 14. 6. 2004

Sie wollen am liebsten das Leben am Bildschirm wahrnehmen. Diesen Eindruck kann man haben, wenn nach Überwachung der Innenstädte gerufen wird. Das Sicherheitsgefühl wird dann politisch instrumentalisiert. Es ist ernst zu nehmen. Denn viele alte Menschen erleben – manchmal auch jüngere Kreise – das Leben nur am Bildschirm und kennen die gebräuchlichsten Umgangsformen nicht mehr, sehen und erkennen niemand mehr, eilen und hetzen durch die Welt. Uns fehlt in den geldorientierten Staaten ein Blick auf kulturelle und soziale Techniken gegen diese Ängste.

Weil ständig Taschendiebe in die leichtfertig offen gelassenen Taschen greifen können und andere davon lesen, entsteht der Eindruck, man könne nicht sicher leben. Dass aber alle 15 Sekunden ein Kind auf der Straße durch möglicherweise sogar diejenigen angefahren wird, die ständig am Bildschirm hängen [...], vergessen viele, nehmen es nicht als Bedrohung wahr. Die Ursache ist wiederum nicht in den [...] Schnellfahrern allein zu suchen; die Antwort ist hinter der Raserei, hinter der Geldgier (für die die Taschendiebe sogar Spiegelbilder der großen Sozialabzocke sein könnten), hinter all den Ängsten steckt eins: Die Unfähigkeit einer egoistisch-individualistischen Gesellschaft der Eigenbrötler, den Blick ins Gesicht des von ihm oft unbemerkt unterdrückten Gegenübers zu richten und nach gemeinsamen Lösungswegen zu suchen. Kameras jedoch beobachten nicht. Sie verschlingen Geld, Personal und Vertrauen in die Freiheit des Andersdenkenden. BERNWARD BODEN, Köln

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