„Was wollen Sie machen?“

Aufregung bei den Behörden: Die 41-jährige Täterin, die vor zehn Tagen in der Neustadt ihre Nachbarin getötet hat, war der Polizei einschlägig bekannt – doch angeblich sei diese Information nicht weitergereicht worden. Klärung am Donnerstag

taz ■ Am Donnerstagvormittag klärt sich alles. Das ist derzeit die Hoffnung aller Behörden, die nach dem Tötungsdelikt in der Bremer Neustadt unter Beschuss stehen. Am 11. Juli hatte eine psychisch kranke Frau ihre 25-jährige Nachbarin erstochen. Wer nun Schuld hat, dass die mehrfach auffällige 41-jährige Täterin im Buntentor-Viertel ungehindert ihre Nachbarin angreifen und töten konnte, das soll sich bei einem Treffen aller beteiligten Behörden am Donnerstag klären. Solange hat man sich auf Schweigen verständigt. Offiziell.

„Bitternötig“ sei dieses Treffen, heißt es derweil inoffiziell. Denn irgendwo zwischen Polizei, Sozialpsychiatrischem Dienst (SPsD) und Vormundschaftsgericht muss es eine entscheidende Lücke geben. Fest steht: Die Täterin war vor der Tat mehrfach aufgefallen. Im Herbst 2002 hatte sie einen Bekannten mit einem Messer angegriffen. Und das spätere Opfer,das sich von der Frau bedroht fühlte, war deshalb noch zwei Wochen vor der Tat zur Polizei gegangen. Dabei hatte die 25-Jährige auf die psychische Erkrankung der Frau hingewiesen.

Ob und warum dieser Vorgang nicht beim zuständigen SPsD gelandet ist, blieb gestern offen. Aus der Sozialbehörde hieß es erneut, von der Polizei sei „nichts“ gekommen. Der SPsD habe „Kontakte“ zu der Frau gehabt, die als „durchaus ausreichend“ bewertet werden.

Der Pressesprecher des Innensenators will sich zu den Vorwürfen nicht äußern. „Gegenseitige Schuldzuweisungen bringen jetzt niemandem etwas“, sagt er.

Warum die eingesetzte Betreuerin, die für die „Gesundheitsfürsorge“ und die „Aufenthaltsbestimmung“ zuständig war (siehe Kasten), von ihrer Aufgabe entbunden wurde, blieb gestern ebenfalls unklar. Zum Fall wolle er sich nicht äußern, so der Leiter des Vormundschaftsgerichts Heinrich Schnitger, „aber es gibt Betreuungen, die aufgehoben werden, weil sie nichts bringen“. Weil die zu Betreuenden sich nicht betreuen lassen wollen.

„Was wollen Sie dann machen?“, fragt einer, der namentlich nicht genannt sein will. „Sie gehen hin, Sie klingeln, das machen Sie dreimal, keiner macht auf – und dann?“ Zieht der Betreuer oder auch der Sozialpsychiatrische Dienst unverrichteter Dinge wieder ab. „Oder wir bekommen eine perfekte Kulisse geboten.“

Im September 2000 hatte ein psychisch kranker Mann in einem Mehrparteienhaus in der Mathildenstraße mehrfach die Gasleitung manipuliert. Erst als knapp eine Explosion verhindert werden konnte, wurden die Behörden aufmerksam. Parallelen weisen die Zuständigen derzeit zurück. „Damals hat sich der SPsD sehr selbstkritisch mit dem Geschehen auseinander gesetzt“, heißt es. Diesmal aber habe man sich nichts vorzuwerfen.

Hinter der grauenhaften Tat in der Neustadt steht ein viel größerer Komplex: der gesellschaftliche Umgang mit psychisch Kranken. „Wenn man eine Psychiatrie will, die die Menschenwürde mehr achtet“, sagt einer, der sich auskennt, „dann bleibt immer ein Risiko, das man eingehen muss.“ Susanne Gieffers