Handreichungen in Sachen Männlichkeit

Der Rapper und selbst ernannte „Ghettomann“ Sido trat beim Sommerfest der Berliner Jugendstrafanstalt Plötze auf

Sido mit Johnny Cash zu vergleichen, das mag in den Augen von Musikkennern eine Frechheit sein. Am vergangenen Freitag kam der Berliner Rapper dem amerikanischen Country-Gott jedoch erstaunlich nahe. Er ging nämlich – genau wie Cash es 1968 tat – in den Knast. Nicht um selbst einzusitzen, sondern um Gefangenen ein paar bunte Stunden zu bereiten. Zusammen mit seiner Crew Die Sekte besuchte der frisch gebackene Top-Ten-Star aus dem Märkischen Viertel das Sommerfest im Haus 8, dem Bereich Sucht der Jugendstrafanstalt Berlin, gerne auch einfach Plötze genannt. Sidos Publikum an diesem Nachmittag: 80 delinquente Drogenopfer, Durchschnittsalter 20, alle männlich und: alle auf Aggro. Den Auftritt ihres Helden vom HipHop-Label Aggro Berlin hatten sie sich ausdrücklich gewünscht. Zu Sidos Musik hätte auch kaum ein anderer Ort besser passen können: Hier, hinter dicken Mauern, wurde – anders sonst als auf MTV oder in Gymnasiasten-Jugendzimmern – völlig ironiefrei deutlich, wohin einen das Leben, das der selbst ernannte „Ghettomann“ in seinen Texten über Gewalt und Drogen beschreibt, führen kann.

An der Getränkeausgabe im Hof gab es statt Sekt und Wodka nur Bananen- und Erdbeershake. Sido bekam seine Schließer, wie er die versammelten Haus-8-Insassen kumpelhaft nannte, trotzdem in den Griff: „Alter, was geht? Sommerfest, ihr hängt hier den ganzen Sommer fest“, freestylte er grinsend auf einer aus Holzpaletten improvisierten Bühne, eine Hand stets nahe seiner im Märkischen Viertel angeblich so geschätzen Männlichkeit.

„Wollt ihr Party machen oder was, zieht euch mal ’n Lächeln auf!“ Reime wie „Komm, steig ein, zieh die weiße Line!“ knallten allerdings nicht ganz so gut wie geplant, viele der Angesprochenen wirkten doch noch zu frisch auf Entzug, mit ungesunder Gesichtsfarbe und geröteten Augen. Als Sido seine dunkle Sonnenbrille gegen seine berüchtigte Totenkopfmaske tauschte, hinter der man seine ebenso geröteten Augen erkennen konnte, kam die Feier dann aber doch in Schwung.

Das Pendant zum „Cocaine Blues“, der bei Johnny Cashs legendärem Konzert im Folsom Prison die Häftlinge zum Tosen brachte, war in der Plötze Sidos aktueller Charts-Hit „Mein Block“ und das Stück „Maske“ mit dem Refrain „Geld, Sex, Gewalt und Drogen, ich bin geboren für das Leben ganz oben“. Gegen solch unverblümte Reime aus dem deutschen Hochhaussiedlungs-Alltag läuft zurzeit ein Indizierungsverfahren, an diesem Nachmittag wirkten sie jedoch einfach wie eine verständnisvolle Handreichung unter Leidensgenossen.

Bei der im Anschluss einberufenen Pressekonferenz gab es dann routinierte Antworten auf die unvermeidlichen Fragen. „Sido, hast du selbst schon mal im Gefängnis gesessen?“ – „Nein, ehrlich gesagt, ich hab immer Glück gehabt. Ich hab viel mitgekifft, aber immer noch überlegt beim Scheißebauen.“ – „Sido, findest du es witzig, mit deinen Texten hier vor Junkies aufzutreten?“ – „Nein, ich sag nur, wie’s ist. Drogen sind bis zu einem bestimmten Punkt sehr gut, aber danach fängt’s an, richtig scheiße zu werden.“

Zum Schluss folgte noch die Frage an den Leiter der Anstalt, ob er immer noch glaube, sich das richtige Entertainment ins Haus geladen zu haben. Der Mann mit dem grauen Pferdeschwanz, möglicherweise ein alter Johnny-Cash-Fan, schmunzelte und sagte dann: „Man muss ja nicht alles gut finden, was gesungen wird.“ Einfache Wahrheiten können verwirrend sein, doch mit dieser Antwort hatte man es dann: das Fazit des Nachmittags, auch übermorgen noch gültig, in sämtlichen Blocks, ob Märkisches Viertel oder Plötze.

JAN KEDVES