: berliner szenen Zurück in die Zukunft
Abschied von Berlin
Der Weg nach Berlin war lang gewesen. Nach dem Abitur im niedersächsischen W. war er zunächst in eine der alten Universitätsstädte im Süden gegangen. Anschließend berichtete er als Volontär einer westfälischen Lokalzeitung zwei Jahre lang über Jugendfußball und den regionalen Wirtschaftsverband, und erst als die Zeitung ihn nicht übernahm, kam vor drei Jahren auch er nach Berlin. Er begann eine Dissertation über ein entlegenes historisches Thema, lebte von einem Honorarvertrag als Online-Redakteur, und niemand, der ihn etwas besser kannte, fand es merkwürdig, dass er sich ausgerechnet in Pankow eine einsame Wohnung gesucht hatte.
Mit der Internet-Branche ging es kurz darauf den Bach herunter. Er lebte noch eine Weile vom Arbeitslosengeld und schloss sogar seine Promotion ab, eine Stelle an der Universität jedoch war nicht in Aussicht. Als auch seine im Grunde genommen gute Idee, einen umfangreichen Restposten Musik-CDs, die er bei Ebay ersteigert hatte, mit Gewinn bei Amazon weiterzuverkaufen, in einem finanziellen Desaster endete, fasste er den Entschluss: Er würde zurück nach W. ziehen, in die Kleinstadt, die er fünfzehn Jahre zuvor verlassen hatte. Vor ein paar Tagen rief er an, um sich zu verabschieden. Die Redakteure der ortsansässigen Zeitung seien froh, einen freien Mitarbeiter mit seiner Ausbildung zu bekommen, erzählte er und klang ein wenig stolz dabei. Von dem Zeilenhonorar könne man nicht leben, aber er habe eine Ich AG gegründet und werde sich in der ersten Zeit mit diesem Geld vom Staat über Wasser halten. Außerdem habe er Glück mit seiner neuen Wohnung gehabt. Er habe in W. ein preiswertes Apartment in einer nur noch zur Hälfte ausgebuchten Seniorenwohnanlage gefunden. KOLJA MENSING
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen