a última verdade
: Stielikes Delirium

Mein Gott, Miro Klose! Vor zwei Jahren in Asien noch wie eine Rakete in den Fußballolymp geschossen. Und jetzt?

Uli Stielike wälzte sich schweißgebadet im Bett. „Gijon!, Gijon!“, schrie der DFB-Trainer immer wieder verzweifelt und konnte nicht einschlafen. Wie im Delirium rezitierte er immer wieder die Telefonnummer des tschechischen Trainers. „Mein Gott, Miro“, schrie Stielike plötzlich so laut, dass der arme Miro am anderen Ende des Ganges die Decke noch tiefer über seinen Kopf zog.

Uli Stielike hatte sich alles so schön ausgemalt: Die Tschechen gewinnen gegen die Holländer und wir gegen die Letten, nun heimlich den Brückner anrufen und dann, am Mittwoch, wie einst, 82 in Gijon gegen Österreich, querpassen bis zum Erbrechen. Und jetzt? Nur weil der Miro aus Blaubach/Diedelkopf in letzter Minute vorbeigedezt hat, sind Ulis Pläne im Eimer.

Nullnull gegen Lettland! Ohnehin war nicht sicher, ob Karel Brückner da so einfach mitgemacht hätte wie weiland der Schneckerl und der Schoko. Aber jetzt ist nicht nur Stielike klar, wie alles endet: Brückner stellt ausgeruhte Reservisten auf, die uns dann, wie damals, im Jahre 2000 in Rotterdam die Portugiesen, 3:0 abziehen, sodass die Holländer nach einem 5:0 gegen volltrunkene Letten hämisch singen werden: „Schade, Deutschland, alles ist vorbei!“

Mein Gott, Miro Klose! Vor zwei Jahren in Asien noch wie eine Rakete in den Fußballolymp geschossen. Und jetzt? Denkt er zu viel? Stürmer sollen doch nicht denken vor des Gegners Kasten. Seit der Toremacher den ersten Verteidiger mimen muss, ist er im Dilemma: Denken verboten, aber bitte alles bedenken, was gut ist für die Mannschaft. Ein Beispiel: Dietmar Schwager, den alle nur den Diddes nennen, war Anfang der 90er Trainer der Lauterer FCK-Amateure. Ein Spiel in Neunkirchen stand an. Tags zuvor fritzwaltwetterte es, und der Diddes erkannte, worauf es ankommt: „Auf dem Platz sind Millionen von Würmern! Nicht flach passen, nur halb hoch, sonst dopst der Ball zu arg.“ Außerdem, meinte der Diddes, könne man nur Kopfballtore machen. 1:0, 2:0 für die Borussia – der Diddes bellte an der Außenlinie: „Würmer .… Hoch! … Ihr habt nicht zugehört.“ 3:1 am Ende für Neunkirchen. Nichts ging. Der Wurm war drin, und der Diddes wusste auch ganz genau, wo: „Im Kopp.“

Endlich war Uli Stielike eingeschlafen. Rudi Völler wollte den Miro trösten. Rudi betrat Miros Zimmer. Auf dem Nachttisch ein Buch von Franz Kafka, von Klose keine Spur. Rudi zog die Bettdecke hoch und sah einen Wurm. Kreidebleich schrie Völler: „Mein Gott, Miro!“ Uli Stielike war blitzwach und aus Oli Kahns Zimmer donnerte es: „Rotterdam, Rotterdam!“ TOBIAS SCHÄCHTER