Gemeinsam nur im Notfall

Die Ökumene war das dominierende Thema in Ulm. Die katholische Kirche ist schon mit kleinen Schritten zufrieden. Reformer und Protestanten nicht

AUS ULM BERNHARD PÖTTER

Wer sich in der Bibel auskennt, hat gelernt, zwischen den Zeilen zu lesen. Und so gibt es am Schluss Standingovation des Publikums im völlig überfüllten Einstein-Saal des Kongresszentrums Ulm. Vorn steht Walter Kasper, der bis vor fünf Jahren als Bischof auch für Ulm zuständig war, und genießt sein Heimspiel. Jetzt ist Kasper Chef der „Kongregation für die Einheit der Christen“ in Rom und damit Ökumene-Minister des Vatikans. Was er sagt, gilt.

Und Kasper hat viel gesagt in seiner einstündigen „Theologischen Grundlegung – Ökumene des Lebens“. Natürlich hat er den „Skandal der Trennung“ gegeißelt, natürlich hat er vor einer „Wischi-Waschi-Ökumene“ gewarnt und die Ungeduldigen gemahnt, wer das gemeinsame evangelisch-katholische Abendmahl fordere, müsse Geduld haben und kleine Schritte gehen: „Wer immer gleich das Ganze will, wird gar nichts erreichen“. Eine allgemeine Einladung für Nichtkatholiken könne es nicht geben.

Aber die Leute, die bereits eine Stunde vor der Veranstaltung vor den Türen warteten, jubeln nicht wegen dieser altbekannten Ablehnung des gemeinsamen Abendmahls. Sie klatschen, weil Kasper versteckt in seinem langen Referat drei zentrale Dinge gesagt hat: Er zitiert den Papst und das Kirchenrecht, nach denen „in bestimmten außerordentlichen Situationen ein nichtkatholischer Christ zur Kommunion zugelassen werden kann“. Er vertraut darauf, dass „unsere Priester genügend Feingespür besitzen, um Lösungen zu finden, die der jeweiligen persönlichen Situation und der Vielfalt des Lebens gerecht werden“. Und er kritisiert, es gebe zu dieser Frage „zu viel mit Druckerschwärze versehenes Papier“. Für katholische Ohren klingt das so: Das gemeinsame Abendmahl ist nicht grundsätzlich verboten. Der einzelne Priester kann entscheiden. Und die deutschen Christen sollten Rom nicht so wichtig nehmen.

Das sagt auch Walter Bayerlein, Vizepräsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), das den Katholikentag veranstaltet. Wie ist seine Reaktion auf die jüngste Instruktion aus dem Vatikan, die die Feier der Messe harsch reglementiert? Er habe „nicht den Eindruck, dass die deutschen Bischöfe bei der Umsetzung besonders leidenschaftlich sind“, sagt Bayerlein. Ihn störe der Grundton, aber „wir sollten nicht aufgeregt auf ein Papier reagieren, von dem in ein paar Monaten niemand mehr redet“.

Die Signale für die Besucher des 95. Deutschen Katholikentags waren somit klar: Ein Jahr nach dem ersten Ökumenischen Kirchentag in Berlin, nach Aufbruchstimmung und dem Skandal um das illegale gemeinsame Abendmahl, sollte das Katholikentreffen die neue Normalität zeigen. Auf 800 Veranstaltungen wurde debattiert über Bioethik, über die Agenda 2010, über Welthandel, Politik, Gott und die Welt. Und immer wieder über das zentrale Thema Ökumene, auch mit der orthodoxen Kirche, vor allem aber in der deutschen Form evangelisch-katholisch. Die katholische Marschrichtung: Wir machen weiter, hin zur Ökumene, langsam und stetig. „In Ulm bestätigt sich die Hoffnung auf christliche Gemeinsamkeit durch die seit langem gewachsene ökumenische Zusammenarbeit der Christen“, wusste ZdK-Präsident Hans Joachim Meyer schon vor Beginn der Veranstaltung.

Und in der Tat zeigte Ulm deutliche Spuren von Berlin: Fast zehn Prozent der Besucher waren evangelisch (normalerweise besuchen die Veranstaltung etwa drei Prozent), sehr viele Podien waren paritätisch besetzt; zum ersten Mal praktizierten die Katholiken die protestantische Sitte der morgendlichen Bibelarbeiten; Protestanten erwärmten sich für die katholische Heiligenverehrung, für Fastenzeiten und für Fragen der Gottesdienstgestaltung; überall auf dem Messegelände tröteten protestantische Posaunenchöre; und auch die Katholiken sprachen nicht ihr Tischgebet, bevor sie ihre Gabel im Verpflegungszelt in die Nudeln mit Putengeschnetzeltem stachen. Die schwierigste Frage der Ökumene, so witzelte die Kabarettgruppe Ruhama, lautete: „Gehen wir zu dir oder zu mir?“

Krawall und Skandal gab es in Ulm nicht. Das lag auch am Ort. In Ulm sind nur 40 Prozent der Bevölkerung katholisch, 30 Prozent evangelisch und 30 Prozent „Sonstige“. Im Münster, der zentralen Kirche der Stadt mit dem höchsten Kirchturm der Welt, genossen die Katholiken nur Gastrecht. Die Bürger der Stadt hatten sich 1530 in der Reformation mit 87 Prozent für den Protestantismus entschieden. Die Geschichte von Ulm ist ein deutliches Signal des Volkes an die römische Kirche: „Wir können auch anders!“

Die aufmüpfigen Basisgruppen hielten in Ulm relativ still: Die „Initiative Kirche von unten“ (IkvU) tagte abseits des Getümmels im eigenen ökumenischen Zentrum. Die Reformer von „Wir sind Kirche“, die das gemeinsame Abendmahl in der Berliner Gethsemane-Kirche organisiert hatte, diskutierten ihre Anliegen am eigenen Stand auf dem Messegelände – eingezwängt zwischen der katholischen Militärseelsorge, dem „Forum Studienjahr Jerusalem“ und dem „China-Zentrum“. Nur eine Veranstaltung außerhalb des offiziellen Programms und einen Gottesdienst ohne Priester hatte „Wir sind Kirche“ organisiert. „Über das gemeinsame Abendmahl von Berlin redet ja hier sowieso noch jeder“, meinte „Wir sind Kirche“-Sprecher Christian Weisner.

Und doch war die gefühlte Einheit größer als die tatsächliche. Denn ein Jahr nach dem Ökumenischen Kirchentag traten die Unterschiede der Kirchen und ihre Probleme bei der Annäherung deutlich hervor. So sind die unbotmäßigen Priester Gotthold Hasenhüttl und Bernhard Kroll weiterhin von ihren katholischen Bischöfen mit voller Härte belangt, suspendiert oder in Rente geschickt worden. Hasenhüttl, der nicht klein beigeben will, forderte ein „Ende der Heuchelei“: Schließlich werde er nur verfolgt, weil er öffentlich zum gemeinsamen Mahl stehe, das jeden Sonntag tausendfach praktiziert, aber verschwiegen werde.

Die theologische Debatte in der katholischen Kirche ist seit Berlin keinen Millimeter vorangekommen. Das beklagt vor allem die evangelische Seite. Elisabeth Raiser, Präsidentin des Ökumenischen Kirchentags von Berlin, gestand, ihr fehle inzwischen jede Hoffnung, dass das gemeinsame Abendmahl in den nächsten Generationen kommen werde. Die hannoversche Landesbischöfin Margot Käßmann erklärte, man sei „im Streit mit den katholischen Bischöfen manchmal zu höflich. Luther wäre auch nicht weiter gekommen, wenn er gesagt hätte: Jetzt ist mir das zu unangenehm, jetzt lasse ich das.“ Andere Protestanten warnten vor einer „Kuschel-Ökumene auf der obersten Ebene“, die den Hardlinern in Rom in die Hände spiele.

Solche Debatten hat die „Kirche von unten“ längst hinter sich gelassen. „Wir feiern das gemeinsame Abendmahl mit evangelischem und katholischem Priester, und das ist völlig selbstverständlich“, sagte IkvU-Sprecher Tim Schmidt. Die Aktivisten kümmerten sich in ihrem Ökumenischen Zentrum um Themen wie Asyl und Zuwanderungsgesetz, Kopftuchstreit, Sozialabbau oder Homosexuelle in der Kirche.

„Ich kenne keine ökumenische Friedensinitiative, die sagt, bei der Messe dürfen nur die Katholiken zur Kommunion“, meinte Schmidt. „Die Ökumene auf dem Katholikentag ist ein netter Anstrich. Aber der Beton darunter ist der alte.“