Inkunabeln des Grauens

F. C. Gundlach kuratiert die ab morgen in den Deichtorhalleln gezeigte Schau mit 140 Fotos zum „Feuersturm“

Die Bilder liegen am Boden um ihn herum. Wie Grabplatten, Stolpersteine vielleicht, um die man nicht herumkommt. Schwarzweiß sind die meisten, verschiedenformatig – einander multiplizierende Inkunabeln des Grauens, das Hamburg am 24. August 1943 während des „Feuersturms“ der „Operation Gomorrha“ ereilte.

F. C. Gundlach, vom Initiator Ingo von Münch zum Kurator der am Freitag in den Deichtorhallen eröffnenden Ausstellung bestellt, steht während des Aufbaus als professioneller Betrachter zwischen den Fotos. Im Auftrag des Propaganda-Ministeriums machten Erich Andres, Willi Beutler, Hans Brunswig und Hugo Schmidt-Lutz die Bilder, „weil die Nazis anhand dieser Dokumente nach dem Krieg Reparationsansprüche geltend machen wollten“, sagt Gundlach. Zivilisten war das Fotografieren zu dieser Zeit verboten.

Und doch wirken die rund 140 Fotos keinen Moment propagandistisch oder gar ästhetisierend: Individuelles und kollektives Leid präsentieren die Bilder von Toten in den Straßen und anonymen Massengräbern, und F. C. Gundlach ist sich sehr wohl bewusst, dass gerade das Zoomen auf individuelles Leid eine Gratwanderung bedeutet. Fotos und Dokumente der Kriegsvorbereitung bilden, gerahmt von Textauszügen aus Hans Erich Nossacks Der Untergang den Auftakt der Schau.

Fotos jugendlicher Flakhelfer folgen. Gundlach entstammt derselben Generation. 1943 war er als Schüler Flakhelfer in Kassel, das am 22. Oktober des Jahres fast komplett zerstört wurde. „Als die Briten anfingen, Stanniolstreifen zu werfen und unser Radar nichts mehr anzeigte, war das die völlige Verzweiflung. Auch das Abwerfen der ,Christbäume‘, die das zu bombardierende Terrain abdeckten, werde ich nie vergessen. Ich kann bis heute kein Feuerwerk ansehen“, sagt der Kurator. „Ich habe über diese Erinnerungen selten gesprochen, aber sie waren mir immer präsent. Etliches war allerdings so unglaublich, dass man es nicht vermitteln konnte. Das dokumentarische Foto bietet hier eine Möglichkeit, das Unsagbare zu zeigen.“

Es ist weniger der pädagogische Anspruch, den Gundlach meint, wenn er sagt, „dass wir solche Ausstellungen natürlich in erster Linie für die Nachfolgegenerationen machen“. Ihn interessiert vielmehr die subtile Ebene, auf der diese Fotos anrühren, oft auch ihre Ambivalenz: Lachende Schulkinder inmitten der zertrümmerten Stadt zeigt ein Foto, das, so Gundlach, „sehr vielschichtig ist: Denn obwohl wir es im Nachhinein vielleicht anders lesen, empfanden diese Schulkinder, deren Familien ausgebombt waren, das kleine Glück des Augenblicks.“ PETRA SCHELLEN

25.7.–31.8., Nördliche Deichtorhalle; Di–So 11–18 Uhr