Abendland kann untergehen

Der CDU-Parteitag stimmte mit großer Mehrheit für Marcus Weinbergs Primarschulpapier. Debattiert wurde trotzdem und die Primarschule als Kompromiss bemängelt. Von Beust sagte lieber nichts dazu

VON KAIJA KUTTER

Es geht doch. Hamburgs CDU zeigte auf ihrem kleinen Parteitag, dass sie streiten kann. Anders als im vorigen April, als die Aussprache über den schwarz-grünen Koalitionsvertrag mangels Wortmeldungen entfiel, trauten sich diesmal vier Kritiker ans Rednerpult im Bürgerhaus Wilhelmsburg. Am Ende stimmte die Partei trotzdem fast geschlossen für das von Marcus Weinberg verfasste Primarschulpapier.

Das war zu erwarten. Hatte doch Bürgermeister Ole von Beust zuvor per Zeitungsinterview klargestellt, dass zwischen ihn und die grüne Schulsenatorin in Sachen Schule kein Blatt mehr passt. Ein Vorgehen, das ihm Kritik einbrachte. Er solle doch nicht nur in der Zeitung, sondern auch mal im zuständigen Landesfachausschuss über Bildung reden, mahnte ein Delegierter. Auf dem Parteitag sagte von Beust dann kein Wort zur Schule und diskutierte nur zuvor über die Finanzkrise und die Frage, ob es richtig sei, die Banken zu stützen und alte ordnungspolitische Vorstellungen über Bord zu werfen. Was von Beust bejahte. Und dann sagte er noch, dass er in seinem Innern eher Christ sei als Konservativer.

Damit lieferte er Marcus Weinberg ein Stichwort, der als Vorsitzender des Landesfachausschusses Bildung das dort erarbeitete Papier vorstellte. „Auch als Christen“ müsse man überlegen, ob alte Grundsätze, wie die frühe Trennung der Kinder nach Klasse 4, im Jahr 2009 noch Gültigkeit hätten. Weinberg verglich den heutigen Widerstand gegen die Primarschule mit dem vor vier Jahren gegen das Kita-Gutscheinsystem. „Damals haben 10.000 Menschen auf der Straße demonstriert. Heute sagen alle, es ist ein Erfolg.“ Er rechnet mit noch mehr Widerstand: „Heute haben wir Windstärke 4. Wir rechnen mit 10.“

Als Erster stieg Robert Heinemann in die Bütt und machte aus seiner Distanz zur Reform keinen Hehl. „Bei absoluter Mehrheit der CDU würde es die Primarschule nicht geben“, sagte der frühere schulpolitische Sprecher. „Sie ist ein Kompromiss. Mehr nicht. Den sollten wir nicht mit inhaltlichen Begründungen überhöhen.“ Wichtig sei, die Wähler mitzunehmen, die „die Pisa-Studien besser kennen, als man glaubt“. So ginge aus der jüngsten Studie hervor, dass Bayern im Punkt soziale Gerechtigkeit besser abschneide als Brandenburg mit seiner sechsjährigen Grundschule. Die Wähler fühlten sich nicht ernst genommen, wenn man auf solche Kritik nicht reagiere. „Aber die Schulbehörde hat es bis heute nicht geschafft, einen echten Dialog mit den Kritikern zu beginnen“, sagte Heinemann.

Von unschönen Begegnungen mit Parteianhängern auf der Straße berichtete auch die CDU-Delegierte Karin Prien aus Blankenese, die zu den Unterzeichnern des Papiers zählt. „Das ist keine Liebeserklärung an die Primarschule, sondern der Versuch, Mindeststandards zu definieren“, sagte die Anwältin und kündigte an, der Ausschuss werde „zu Grundsatzpositionen“ ein zweites Papier erstellen. Sie habe Zweifel, ob die individuelle Förderung der Kinder gelinge und meinte, dass dafür doch äußere Differenzierung nötig sei. Und sollte es nicht gelingen, die Profile der Gymnasien zu erhalten, werden man „über Ausnahmeregelungen reden müssen“.

Auch Horst Klemeyer aus Eimsbüttel zeigte sich skeptisch, weil als Vorbild für die Primarschule die Schweiz gelte. „Da gibt es Kantone, da machen nur 9 Prozent Abitur.“ Als letzter Kritiker warb Nikolaus Haufler von der Jungen Union vergeblich, man möge doch einfügen, dass man „eigentlich für den Erhalt der Gymnasien ab Klasse 5 ist“.

Dann folgten die Fürsprecher. Neben Weinberg verteidigte der schulpolitische Sprecher Marino Freistedt die Reform und versprach, die Fraktion werde über die Einhaltung des Positionspapiers wachen.

Für Lacher sorgte Andreas Wankum. „Ich konnte kaum über die Straße gehen, ohne fünfmal angesprochen zu werden, dass der Untergang des Abendlandes bevorsteht, wenn wir die Schulreform nicht verhindern“, plauderte der CDU-Mann aus Winterhude.

Am Anfang sei er für diese Argumente offen gewesen, inzwischen halte er sie für „diffuse Ängste“ von Eltern, die kein Problem hätten, ihr Kind auf ein teures Internat zu schicken, wo Kinder von der 1. bis 13. Klasse gemeinsam lernen. Wankums Appell, der Reform eine Chance zu geben, wurde gefolgt. Nur einer der rund 150 Delegierten enthielt sich. Zwei stimmten mit Nein.