Kohle hat Hürth noch fest im Griff

Wo vor den Toren Kölns einst Braunkohle abgebaut wurde, soll ein geschütztes Refugium für seltene Pflanzen entstehen. Doch RWE Power stellt sich quer und will erst die „Wasserfrage“ klären

von Sebastian Sedlmayr

Der Boden ist ausgesaugt, die verwertbaren, profitablen Energiereserven ausgebeutet, die Natur holt sich zurück, was ihr gehört. Im südlich von Köln gelegenen Hürth-Knapsack wurde 1988 zum letzten Mal Braunkohle gefördert. Nun blühen auf dem „Restfeld Ville“ wieder Blumen. Doch das Erbe des Tagebaus wirkt nach: Seit sechs Jahren soll das Gelände bei Hürth zum Naturschutzgebiet erklärt werden. Dagegen stehen die Interessen des Grundstückseigentümers RWE Power.

Zwar hat der Rat der Stadt Hürth Anfang des Jahres einstimmig beschlossen, das Ville-Restfeld zum Naturschutzgebiet auszuweisen und damit die seltenen Orchideenarten, die dort blühen, vor Eingriffen in ihre Umgebung zu schützen. Doch letztlich entscheidet der Kreistag Rhein-Erft über die Zukunft des Areals. Für dessen Umweltausschuss am morgigen Dienstag hat die Verwaltung eine Vorlage erstellt, in der es heißt, dass „die endgültige Ausweisung als Naturschutzgebiet (...) derzeit nicht vorgenommen werden kann“.

Hintergrund: Ein Teil des Grundstücks gehört noch immer der Braunkohlefirma Rheinbraun, die heute als hundertprozentige Tochter des Essener Energiekonzerns RWE unter dem Namen RWE Power firmiert. Und RWE Power möchte vor einer Umwandlung in Naturschutzgebiet prüfen, ob es ein effektiveres Konzept zum Umgang mit dem Grundwasser in der Ville gibt als das derzeit angewandte.

RWE Power ist verpflichtet, die Trockenhaltung der Mulden in der Ville zu gewährleisten. Denn wenn das Becken überläuft, drohen Giftstoffe aus den nebenan gelegenen Mülldeponien ins Grundwasser zu entweichen. Das Wasser wird bislang herausgepumpt. Nun will RWE Power prüfen, ob ein Ablauf über einen Graben nicht kostengünstiger wäre. RWE-Power-Sprecher André Bauguitte: „Das Konzept zur Wasserhaltung muss geklärt sein. Vorher wird es dort kein Naturschutzgebiet geben.“

Die Grünen im Kreistag sind wütend. Eine „Unverschämtheit“ nennt Doris Lambertz das „Taktieren von Rheinbraun/RWE Power gegen den Naturschutz“. Die gewählten Kreistagsvertreter dürften „nicht von den Wünschen eines Konzerns abhängig sein“ und sollten „wenigstens einmal nicht einknicken“.

Die grüne Lambertz hält die Argumente der Firma für vorgeschoben: „RWE Power spielt nur auf Zeit, weil das Gelände verkauft werden soll“, vermutet sie. Doch Bauguitte versichert: „Ein Verkauf ist derzeit kein Thema.“ Über die Angriffe ist er „irritiert“. Sie enbehrten jeglicher Grundlage, weil RWE Power „seit Jahren in engster Absprache mit den Naturschutzverbänden ehemaliges Tagebaugelände wie die Ville rekultiviert“. Aus Sicht von RWE Power liegt der Termin, an dem die Ville endgültig unter Naturschutz gestellt wird, allerdings noch in sehr weiter Ferne. Denn, so Bauguitte: „Erst wenn die Mülldeponien geschlossen sind, kann die Wasserhaltung abeschließend geregelt werden.“

Weil sie fürchtet, dass RWE Power den Zugang zur Ville ganz verweigern könnte, gibt sich die grüne Kreistagsfraktion nun doch kompromissbereit: „Die offene Frage der Wasserhaltung wird im Rahmen des Verfahrens zur Unterschutzstellung geklärt“, heißt es in einem Antrag der Öko-Partei für den Umweltsausschuss. Doch ob dieser Antrag die Zustimmung der Mehrheit findet, ist äußerst fraglich. Schließlich verfügt die Unionsfraktion – wenn Landrat Werner Stump (CDU) mit seinen Parteigenossen stimmt – über 34 von 66 Stimmen; und die Union ist nicht an einem Dissens mit der Industrie interessiert.

Auch RWE Power will weiterhin auf die Bremse drücken. „Ob die Ville irgendwann einmal Naturschutzgebiet wird, ist relativ offen“, dämpft Unternehmenssprecher Bauguitte die Erwartungen von Naturfreunden. Selbst wenn der Kreistag der Aufforderung der Grünen, sich von der Privatwirtschaft nicht unterbuttern zu lassen, folgen sollte, können bis zur Ausweisung der Ville als Naturschutzgebiet wegen des langwierigen Verfahrens noch einige Jahre vergehen.