Ein kurzer Spätsommer der Utopie

Kultursenator Flierl (PDS) appelliert, mit der Zwischennutzung des Palasts der Republik Ansprüche an die künftige Nutzung des Ortes zu stellen. Den Abrissbeschluss des Bundestags will er nicht politisch, aber kulturell hinterfragen. Ein Plädoyer

VON THOMAS FLIERL

Die Internationale Expertenkommission und das Abgeordnetenhaus von Berlin hatten sich dafür ausgesprochen, nach abgeschlossener Asbestbeseitigung den Palasttorso kulturell zwischenzunutzen. Dem herausragenden städtischen Ort eine möglichst qualitätsvolle Nutzung zu verleihen sei dem Leerstand des auf den Rohbauzustand zurückgebauten Palasts vorzuziehen.

Nach der Gestaltung des politischen Zentrums der Bundeshauptstadt, des Bandes des Bundes im Spreebogen, nach der Errichtung des neuen Urban Entertainment Centre am Potsdamer Platz und der Akzeptanz des großzügigen kommunalen Forums am Roten Rathaus zwischen Fernsehturm und Spree bildet die Mitte der Spreeinsel die verbleibende große städtebauliche und gesellschaftspolitische Herausforderung: die Transformation vom preußisch-ostdeutschen Staatsforum zur kultur- und wissensbasierten gesellschaftlichen Mitte eines europäischen Landes.

In den 90er-Jahren waren die Debatten durch politische und ideologische Konfrontationen gekennzeichnet: Die Entscheidung, den Palast durch Nutzungsentzug vom gesellschaftlichen Wandel auszuschließen und durch Asbestentsorgung zu ruinieren, machte ihn retrospektiv zum Symbol des untergegangenen Staatswesens und suchte bewusst den Konflikt mit den kulturellen Erfahrungen der Ostdeutschen im Umgang mit diesem Gebäude. An die Stelle einer ignorierten kulturellen Erfahrung wurde das tradierte Bild einer idealistischen Vorvergangenheit gestellt: das Schloss.

Der Beschluss zur Errichtung eines neuen Gebäudes in der Kubatur und mit den Barockfassaden des Berliner Stadtschlosses erbrachte immerhin das Ergebnis, dass es an diesem städtischen Ort und zur Legitimation der retrospektiven Architektur eines dominant öffentlichen Zweckes bedarf. Diese öffentlichen Zwecke sind derzeit öffentlich nicht finanzierbar. Das Anschlussprojekt lässt auf sich warten. Dominant privat finanziert und genutzt, würde das Projekt seine eigene Legitimation aufzehren. Auch eine Grünanlage wäre nur die Karikatur gesellschaftlicher Sinnbestimmung.

Das Projekt der kulturellen Zwischennutzung nimmt den rückgebauten Palast der Republik als das, was er sein könnte: als Rohbau für eine Zukunft mit dominant öffentlicher Nutzung – jenseits der ideologischen Konfrontation von retrospektivem DDR-Palast und ebenso retrospektiv gedachtem Schloss. Die kulturelle Zwischennutzung des Palastes schafft für kurze Zeit eine offene Situation. Sie erinnert an die Zeit des Aufbruchs in der Zeitenwende seit 1989/90, als viele Gebäude in Ostberlin ihre Nutzungen verloren und neu angeeignet werden mussten, als die kulturellen Pioniere die spätere Stadtentwicklung vorbereiteten; sie erinnert an eine Zeit mit Zukunft. Deutschland sucht auch heute neue Wege in die Zukunft. Die kulturelle Zwischennutzung einer „Konstruktion mit ungewissem Status“ (Rem Koolhaas) schafft in der Mitte der Stadt ein urbanes Labor, einen transitorischen Raum: nicht für retrospektive, sondern für prospektive Erkundungen. Nicht für die ältere Generation, die Subjekt und/oder Objekt der deutschen Einheit war, sondern für die jüngere Generation, für die die deutsche Einheit eine unbestrittene historische Voraussetzung, nicht aber schon die Antwort auf ihre Zukunftsfragen darstellt.

Nicht der nochmalige symbolische Abschluss deutscher Nationalgeschichte mit Schloss und Freiheitsdenkmal auf dem Sockel des früheren deutschen Nationaldenkmals, sondern die Eröffnung eines gemeinsamen Weges in eine ungewisse, auf neue Weise zu erarbeitende Zukunft der bundesdeutschen Gesellschaft steht auf dem Programm.

Die kulturelle Zwischennutzung kann die vom Bundestag getroffene Entscheidung zum Abriss des Palasts und zur Errichtung eines Gebäudes in der Kubatur und mit den Barockfassaden des Berliner Stadtschlosses politisch nicht in Frage stellen. Sie setzt diese Entscheidung vielmehr voraus, wenn sie sie kulturell hinterfragt. Die kulturelle Zwischennutzung ist eine diesseitige Utopie: die Zukunft nicht im Jenseits, schon gar nicht in der Vergangenheit zu suchen, sondern aus dem Fragmentarischen, Ungewissen, Schwierigen des Vorhandenen zu entwickeln.

Vom leeren Palast haben wir lange genug Abschied genommen, ein genutzter Palast lässt ihn endlich im Heute ankommen, teilhaben am gesellschaftlichen Wandel – wenn auch nur für kurze Zeit. In der Hoffnung auf einen interessanten, künstlerisch, stadtkulturell und politisch nachhaltigen Spätsommer 2004 habe ich gern die Schirmherrschaft übernommen. Mein Appell geht an alle Interessierte: Nutzen Sie das Angebot, formulieren Sie durch praktischen Gebrauch Ansprüche für die zukünftige Nutzung dieses Ortes.

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