Schönheit des Scheiterns

Seit vierzig Jahre hofft Spanien ebenso inbrünstig wie vergeblich mit seiner Nationalmannschaft auf einen Titel. Nach dem 0:1 gegen Portugal und dem Aus in der Vorrunde darf weiter gewartet werden

AUS LISSABON MATTI LIESKE

Traditionell gelten im Weltfußball ja die Schotten als die Großmeister des Scheiterns, und zwar nicht erst, seit sie Berti Vogts als Trainer haben. Bei jedem Turnier, an dem sie teilnahmen, flogen sie zuverlässig in der Vorrunde raus. Die tragischsten Verlierer, zumindest der letzten 40 Jahre, sind jedoch die Spanier. Denn während Schottland stets mit sehr begrenzten Hoffnungen zu Welt- und Europameisterschaften fuhr, ist man in Spanien jedes Mal aufs Neue überzeugt, endlich eine Mannschaft beisammen zu haben, die Champion werden kann. Oft startet diese dann sogar gut und nährt noch mehr Hoffnungen, bis irgendwann der unvermeidliche Zusammenbruch erfolgt.

Auch diesmal gab es für die Spanier nur einen Favoriten bei der EM: ihre Selección. „Näher dran als jemals zuvor“, betitelte die Zeitung El País die Aufmacherseite ihrer Beilage zum EM-Auftakt und zählte diverse Gründe auf, „sich Illusionen zu machen“, wie es ebenso hübsch wie letztendlich treffend formuliert wurde. Da war der in allen Teilen stark und ausgewogen besetzte Kader; ein taktisches System – die gerade so beliebte Diamantformation oder Raute – mit dem die spanischen Vereinsteams in der jüngeren Vergangenheit europaweit Erfolge feierten; Spieler, die eben wegen dieser Erfolge vor Selbstbewusstsein strotzen; mit Iñaki Sáez einen gelassenen und nüchternen Fachmann als Trainer; die geografische Nähe zum Gastgeberland und damit viel Unterstützung durch die Fans; dazu mit Raúl, Morientes, Torres und Valerón vier torgefährliche Stürmer, die so unterschiedliche Typen sind, dass für jede Situation eine Lösung bereitsteht. Was sollte schief gehen? Eine Antwort gab Sáez nach dem Aus durch das 0:1 gegen Portugal: „Wir haben zu wenig Tore geschossen.“ Und fügte hinzu: „So simpel ist Fußball.“

Ein einziger Abwehrfehler zum 1:1 gegen Otto Rehhagels Griechen hatte die Spanier in die prekäre Situation gebracht, im letzten Gruppenspiel gegen Portugal ums Überleben kämpfen zu müssen, aber der Defensive wollte der Coach keine Schuld am Scheitern geben. „Auch wenn wir heute wieder einen Treffer kassiert haben, entscheidend war, dass wir nicht getroffen haben.“ Die Worte von Sáez ähnelten stark jenen von Rudi Völler nach dem 0:0 gegen Lettland. Der Charakter der Mannschaft sei in Ordnung gewesen, das Spiel „eigentlich lange Zeit ganz gut“ gelaufen, aber „wenn das Tor nicht da ist, hilft alles nichts“, verteidigte er Team und Taktik.

Zu Hause wird man das ein wenig anders sehen. Mit einer gehörigen Portion Polemik hatten die spanischen Medien den Boden für das Match bereitet, den schwedischen Schiedsrichter Anders Frisk durch den Vorwurf, er sei ein Heimschiedsrichter, auf Linie gebracht und Portugals Coach Felipe Scolari gequält. Dabei hatte sich der Radiosender Cadena Ser besonders hervorgetan, der bei Scolari um ein Interview gebeten hatte. Seine Ablehnung hatte der Brasilianer, der gelegentlich gern in den Sprachduktus eines Junta-Chefs verfällt, folgendermaßen begründet. „Das ist ein Krieg, und in dem will ich töten, nicht sterben.“ Was der Sender natürlich fröhlich über den Äther jagte und sich dafür eine Rüge der Uefa einhandelte. Die Medien hatten jedenfalls alles gegeben und werden kaum hinnehmen, dass die Mannschaft sie im Stich ließ.

Von Scolari kriegerisch auf das eingestimmt, was er gern „Mata-mata (Töte-töte) -Spiel“ nennt, begannen die Portugiesen vom Anpfiff weg einen Sturmlauf, dem die Spanier zunächst wenig entgegenzusetzen hatten. Ihre Devise war, mit verstärkter Defensive möglichst das 0:0 zu halten, welches Spanien ins Viertelfinale gebracht hätte, und gelegentlich über die schnellen Angreifer Raúl und Torres zu kontern. Im Nachhinein eine fatale Taktik. Figo links und Cristiano Ronaldo rechts gingen an ihren Verteidigern vorbei, als seien diese Luft, was die Außenspieler Joaquín und Vicente dazu zwang, permanent hinten auszuhelfen. Da die Spanier darauf verzichteten, schon im Mittelfeld gegenzuhalten und selbst Druck zu entwickeln, konnten die portugiesischen Defensivleute aufrücken und den Gegner komplett in die Enge treiben. Nur die Ineffektivität des portugiesischen Angriffszentrums mit Pauleta und Deco rettete die Spanier in dieser Phase. Wäre allerdings einer der gefährlichen Konter über den pfeilschnellen Fernando Torres erfolgreich gewesen, Iñaki Sáez hätte sich feiern lassen dürfen. So aber zeigte sein Team erst nach dem Tor des für den schwachen Pauleta eingewechselten starken Nuno Gomes, was in ihm steckt. Mit Glück, einem überragenden Abräumer Costinha vor der Abwehr und einem unüberwindlichen Defensivchef Ricardo Carvalho überstand Portugal jedoch die wilde Offensive der Spanier, denen am Ende nicht nur das eigene Tor fehlte, sondern auch ein weiteres der Russen gegen Ottoland.

1964 war es, als Spanien den Europacup der Nationalmannschaften gewann, wie der EM-Vorläufer zu jener Zeit hieß. Fragt man heute Veteranen von damals wie Real Madrids Francisco Gento, dann sagen sie, dass es ein besonderer Sieg gewesen sei, aber sie sich niemals hätten träumen lassen, dass es vierzig Jahre lang der einzige bleiben würde. „Man kann nicht einfach einen Schalter umlegen“, meint Sáez zur spanischen Misere, „ich habe auch kein schnelles Patentrezept.“ Ob er nach der neuerlichen Enttäuschung überhaupt noch irgendwelche Rezepte in Spaniens Team anwenden wird, mochte er nicht beantworten. Es sei jetzt kein guter Moment für diese Frage, meldete sich ein Reporter, aber werde er Nationaltrainer bleiben? „Es ist in der Tat kein guter Moment für diese Frage“, antwortete Iñaki Sáez.