SMS von George Orwell

Tauschnetze sind der einzige Sozialismus, der jemals real existiert hat – und wie geschaffen für die neuen Handys

Die nächste Generation der Handys kann Videos und Musik aus dem Netz holen und abspielen. Seit die Hersteller damit werben, vergeht kein Tag, an dem die Bosse der Medienkonzerne nicht mit technischen Tricks zu verhindern versuchen, dass ihre Kunden nun auch noch mit dem Handy so ungeniert Daten austauschen, wie sie es am PC gelernt haben.

Warten wir ab, was ihnen dazu noch einfällt. Bislang beweist die neueste Aufregung nur, dass Fabrikanten, Netzbetreiber oder gar Medienunternehmen nicht begriffen haben, was diese Tauschnetze sind, die sie so fürchten: auf der einen Seite Leute, die mal eben ihre Lieblingsstücke herunterladen, statt sie im Laden zu kaufen, auf der anderen Seite Leute, die das zwar tun, dann aber die Daten, für die sie bezahlt haben, dem Zugriff von Tauschpartnern freigeben.

Beides halten sie für schwer kriminell und übersehen völlig, dass es diese beiden Sorten von Leuten gar nicht gibt. Es gibt nur eine Art, an Tauschnetzen teilzunehmen. In der Sprache des Marktes könnte man sagen, dass jeder Nachfrager ein Anbieter ist. Klarer wird die Sache jedoch, wenn man sagt, dass Tauschnetze der einzige Sozialismus sind, der jemals real existiert hat.

Was daran verboten sein sollte, ist schon aus technischen Gründen vollkommen unbegreiflich. All die Tricks unter dem Stichwort „Digital Rights Management“, mit denen die Industrie versucht, wenigstens für die Handys diesen Zustand zu ändern, sind lediglich mutwillige Störungen dieser eleganten und einfachen Technik.

Falls demnächst jemand mit seinem Handy in meinem Tausch-Verzeichnis stöbern sollte, würde ich ihn am liebsten anrufen, um ihn kennen zu lernen. Die Idee der Musikindustrie, stattdessen den Staatsanwalt zu holen, ist zum Scheitern verurteilt. Durchsetzbar wäre sie höchstens mit einem Orwell’schen Polizeistaat. Aber davon war in der Werbung für die neuen Handys bisher nicht die Rede. NIKLAUS HABLÜTZEL