Kurs halten oder umsteuern?

Umsteuern, weil die SPD sonst ihre Identität verliert, sagt Ottmar Schreiner – von wegen, Kurs halten, dann kommt auch der Erfolg, rät Johannes Kahrs
INTERVIEW ANNA LEHMANN

taz: Die einen wollen unbeirrbar auf Reformkurs bleiben, andere das Tempo drosseln oder gar zurückrudern. Wie soll es weitergehen, Herr Schreiner?

Ottmar Schreiner: Gegen Reformen ist eigentlich niemand. Die Frage ist: Handelt es sich um strukturelle Reformen oder um platten Sozialabbau? Das ist eigentlich die Alternative. Die Alternative lautet nicht „Weiter so wie bisher“.

Erwarten Sie einen Kurswechsel in der Reformpolitik?

Ich sehe das nicht, weil die Redensarten nach dem desaströsen Wahlergebnis vom letzten Wochenende im Prinzip gleich geblieben sind. Es wird nach wie vor gesagt, der Kurs stimmt, Probleme gibt es nur bei der Kommunikation. Ich bin der Auffassung, der Kurs muss deutlich verändert werden, sonst wird sich an den Wahlschlappen auch in Zukunft nichts ändern.

Ist das nicht ein bisschen zu einfach, in Berlin gegen die Regierung zu stänkern und sich im Saarland auf die Schulter klopfen zu lassen?

Das Meckern in Berlin ist manchmal nicht ganz so leicht. Da hat man ja hin und wieder eine einsame Minderheitenposition. Auf der anderen Seite tut es gut, dass man an der Basis der Partei enormen Rückhalt hat.

Auf welche Themen kann die SPD setzen, um sich zu profilieren?

Die Bürgerversicherung könnte ein solches Thema sein. Gegen das Kopfpauschalenmodell der CDU, da gibt es eine klare Frontlinie. Die einen wollen die Hochverdiener zusätzlich entlasten, die anderen wollen sie stärker in die soziale Verantwortung nehmen.

Ist das eine Kursänderung oder nur ein Symbol?

Das wäre nicht nur ein Symbol, weil es den Trend der Umverteilung von unten nach oben stoppen würde. Das wäre ohne Zweifel eines von mehreren Themen, um aus der Defensive herauszukommen.

Welche Themen sehen Sie noch?

Ich fordere seit einiger Zeit eine grundlegende Revision der Arbeitsmarktpolitik. Eine Zusammenführung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe, die nicht voll zu Lasten der Langzeitarbeitslosen geht. Weiterhin würde ich darauf verzichten, den Spitzensteuersatz zu Beginn des nächsten Jahres weiter abzusenken. Das Geld, das dann zur Verfügung stünde, müsste gezielt eingesetzt werden zur Modernisierung der Bildungsinfrastruktur.

Reicht die Zeit, um solche Themen wahlkampftauglich zu verkaufen?

Einzelmaßnahmen werden nicht ausreichen. Es wird darauf ankommen, einen Kurs zu definieren, der deutlich macht: Die SPD ist keine Partei des Sozialabbaus, sondern eine Partei des sozialen Ausgleichs. Der historische Kern der SPD war eigentlich immer, den Versuch zu unternehmen, ökonomischen Fortschritt mit sozialem Ausgleich zu verbinden. Wenn dieser historische Kern verloren geht, geht es an die Existenzfähigkeit der Partei.

Der DGB hat wieder Bereitschaft zur Zusamenarbeit signalisiert, wenn Hartz IV sozial entschärft wird. Ist es für die SPD klug, jetzt auf die Gewerkschaften einzugehen, oder könnte das als Einknicken gewertet werden?

Ich plädiere dafür, stärker auf die Gewerkschaft zuzugehen. Der historische Kern der SPD seit 140 Jahren war die industrielle Arbeitnehmerschaft. Und wenn man bei den Europawahlen und den thüringischen Wahlen genauer hinschaut, wird man feststellen, dass hier die Verluste der SPD besonders stark sind. Das heißt, der SPD zerbröselt ihre Kerngruppe und damit auch ihre Kernidentität.

Wäre es heilsam für die SPD, wenn sie 2006 in die Opposition verschwände, damit sie sich auf ihre Basis besinnen kann?

Ich bin ja nun kein Arzt. Es gibt die berühmte These: Regeneration in der Opposition. Doch bin ich kein großer Fan dieser These. Genauso gut kann sich eine Partei in der Regierungsverantwortung regenerieren. Man muss es nur wollen.

Schafft das die Partei?

Das wollen wir alle hoffen, denn eine so nachhaltig geschwächte SPD ist auch nicht gut für die Demokratie. Die Demokratie in Deutschland lebt von einer starken Regierung und einer ebenso starken Opposition. Wenn die führende Regierungspartei in einem solchen Maße schwächelt, dann ist das nicht gut.

Muss die Parteispitze jetzt auf die Linken zugehen, um sich zu stärken?

Ein Vogel kann nur richtig fliegen, wenn beide Flügel intakt sind. Wenn man einen Flügel stark beschneidet, gerät der Vogel ins Trudeln.

Die SPD-Rebellen wollen eine „Wahlalternative“ aufstellen. Könnten Sie sich vorstellen dorthin zu wechseln und Ihren Freund Oskar Lafontaine gleich mitzunehmen, wenn die SPD es nicht schafft, sich zu verändern?

So hypothetische Fragen sollte man auch hypothetisch nicht beantworten. Richtig ist jedenfalls, dass die SPD seit geraumer Zeit im linken Wählerspektrum ein erhebliches Vakuum hinterlassen hat, und dieses Vakuum sucht sich seine eigene Füllung.

INTERVIEW JAN FEDDERSEN

Warum?

Weil wir das Richtige machen.

Das wird vom Volk momentan nicht so gesehen.

Das kann sein. Aber wenn man sich viel Zeit nimmt und den Menschen erklärt, weshalb wir diese Politik machen, gewinnt man Sympathien zurück.

Tatsache ist, dass die SPD nur noch verheerende Niederlagen bilanzieren muss.

Richtig. Aber wie mir Unionskollegen im Bundestag sagen: Auch die CDU ist sich ihrer Sache noch nicht sicher.

Woraus speist sich Ihr Optimismus?

Ich denke nicht nur tagespolitisch, sondern auch langfristig. Kohl ist abgewählt worden, weil er 16 Jahre nichts gemacht hat – und die Menschen wussten, dass es so nicht weitergeht. Und wir machen was.

Offenbar das Falsche.

Nein, das Notwendige. Dies werden wir auch kommunizieren.

Ihre Botschaft soll sein: „Die Lage ist aussichtslos, aber wir gehen unseren Weg“?

Wir tun, was die Presse immer fordert: Nicht nur an die nächste Wahl denken, sondern eine Politik zu machen, die mehr als eine Legislatur im Blick hat.

Das klingt sehr hoffnungsstark, aber wenig konkret.

Wir beherzigen doch nur das sozialdemokratische Prinzip: Einen kaputten Sozialstaat können sich nur die Reichen leisten. Die abhängig Beschäftigten aber brauchen einen langfristig bezahlbaren Sozialstaat. Der Generationenvertrag muss glaubwürdig bleiben.

Jene, die die Gründung einer neuen linken Partei im Auge haben, sagen: Die SPD besorgt momentan das Geschäft der Union.

Das ist sehr hastig analysiert. Die Wirklichkeit ist nicht so, wie sie sein soll, sondern so, wie sie ist. Wir betreiben das Geschäft jener, die die Sozialsysteme und zugleich Arbeitsplätze in Deutschland erhalten wollen.

Die neue linke Partei …

… verdient drei schlichte Anmerkungen. Erstens kennen ihre Initiatoren nicht die Geschichte der Arbeiterbewegung, zweitens unterstützen sie damit die Union, und drittens gibt es die PDS.

Zurück in die Wirklichkeit kommender Wahlen: Demnächst gehen weitere rote Rathäuser in NRW an die Union, Schleswig-Holstein verliert die SPD auch. Im Bundesrat geht dann nichts mehr.

Das wollen wir doch mal sehen. Ganz so schwarz sehe ich die Lage nicht. War schon schlimm genug, dass wir Hamburg nicht zurückgewonnen haben.

Wo es vielleicht nicht so verkehrt war, den roten Filz mal etwas gröber auszubürsten.

Die CDU hat doch in zwei Jahren gezeigt, dass sie es in Hamburg nicht kann.

Was die Wähler nicht so sahen. Was nützt Ihnen das Richtige, wenn man Ihrer Partei nicht Recht gibt?

Das werden wir sehen. Ich bin da nicht so verzweifelt wie andere in meiner Partei. Aufrecht und energisch das Richtige tun wird sich auf Dauer durchsetzen.

Und wenn auch noch Nordrhein-Westfalen verloren geht, kann kein einziges Gesetz mehr ohne die Zustimmung der Union im Bundesrat verabschiedet werden.

So ist es.

Rot-Grün könnte abdanken.

Nein. Wieso das denn?

Es wäre eine Regierung ohne Macht.

Weil die Union dann genauso in der Pflicht stünde wie die SPD. Dann muss sie endlich präzise und stimmig sagen, was sie für notwendig hält. Dann muss sie sich anders erklären als jetzt …

wo sie alles nur ablehnt …

… und keine Alternativen formuliert. Einerseits Steuersenkungen fordern und zugleich nicht sagen, wie das gegenfinanziert werden kann. Das geht von dem Tag an nicht mehr.

Von den Landtagswahlen in NRW bis zu den Bundestagswahlen sind es nur anderthalb Jahre. Das soll ausreichen, um das miese Image der Regierung aufzuhellen?

Die Menschen werden sehen, dass jene, die 16 schwarz-gelbe Jahre immer noch zu verantworten haben, keinen Sieg verdienen. Wir sind die Reformpartei – das werden wir klar machen. Vielleicht ist manches zu schnell gegangen, manche Reform zu wenig vermittelt worden, aber die Leistung, die Sozialsysteme zu modernisieren, wird anerkannt werden. Reformen sind nicht über Nacht spürbar; ihre guten Wirkungen stellen sich oft erst nach drei Jahren ein.

Selbst die SPD-treuen Gewerkschaften bleiben mürrisch.

Die Gewerkschaften sind unabhängig – und die SPD von ihnen auch. Sie müssen die Interessen ihrer Mitglieder vertreten – wir aber die Interessen des ganzen Landes im Blick behalten.

Ihre Stimmungslage?

Verhalten optimistisch. Und kämpferisch sowieso. Das würde meiner Partei, all meinen Genossinnen und Genossen, überhaupt gut tun: keinen Frust schieben, sondern kämpfen. Abgerechnet wird am Wahltag. Vorher lohnt sich kein Trübsinn.