peter ahrens über Provinz
: Recherche-Robert

In Berlin kann man auf dem Klo lesen und eine Geschichte in der „Bild“-Zeitung werden

Also, langsam beginnt mir dieses Berlin zu gefallen. Ich muss gleich einschränken, Ostberlin. Die Frauen, die hier leben, sind schön und klug, und vermutlich gibt es gar ein paar Männer, auf die das auch zutrifft. Die Ampelmännchen sorgen für Sicherheit und Ordnung, und beim Pernod wird über Literatur debattiert. Ich wohne für fünf Tage gemeinsam mit meinem liebeskranken Freund Christian aus Amsterdam in einer Wohnung am Prenzlauer Berg, die wir gemietet haben. Der hier sonst wohnt, hat ein gut sortiertes Bücherregal voll mit Schriftgut über Bondage. Irgendwo zwischen den Buchdeckeln hat er eine Ausgabe des Penthouse versteckt.

Offen auf dem Tisch liegen dagegen Neon und Brandeins, und als Klolektüre hat er ein einziges Buch ins Badezimmer gestellt: „Versuch über die Anstößigkeit des Denkens bei Spinoza“. 263 Seiten. Vielleicht leidet er unter Verstopfung.

Wir sind kaum eingezogen, da steht eine böse, alte Frau vor der Tür. Sie behauptet, direkt unter uns zu wohnen und beschuldigt uns, bei ihr „auf den Balkon gekotzt“ zu haben. Es nützt nichts, ihr zu sagen, dass ich das gemeinhin nicht tue – und nicht nur deswegen, weil ich in Hamburg als Erdgeschossbewohner keinen Balkon unter mir habe. Sie zetert noch im Weggehen und murmelt wahrhaftig etwas über „die von drüben“. Vielleicht liegt es an der Hitze. Es ist so heiß in dieser Stadt, dass alles weich wird, klebrig, flimmernd. Unerträglich ist das. Wir müssen also raus in die Natur.

Marzahn, Hohenschönhausen. Dort, wo Ostberlin noch so ist, wie man es sich nach einer „Polizeiruf 110“-Folge von 1974 vorstellt. Hier stehen sympathische Aufforderungen an den Wänden wie „Kapitalismus abschaffen“. Und mir wird klar, dass hier bei der Umsetzung solcher Losungen auch nicht lange gefackelt wird, als der erste Geldautomat meine EC-Karte mit Haut und Haaren auffrisst.

Gut, die jungen Männer sehen hier teilweise so aus, als wollten sie dem italienischen Tourismus-Staatssekretär im Nachhinein noch Recht geben. Christian ist etwas enttäuscht, weil er kein Arbeitsamt entdeckt, was er an jeder Ecke vermutet hatte. Das einzige rote A, das er findet, gehört zu einer Apotheke.

Etwas gedämpfter Stimmung fahren wir die alte Stalinallee wieder herunter. Abends in der Disco in der Straßburger Straße ist die Atmosphäre wieder aufgeräumter. Wir werden beim Bier darüber aufgeklärt, dass Pulitzer-Preis-Bücher gelesen sein müssen, wir debattieren ein wenig mit dem Publikum über linke und rechte Gehirnhälften. Was man in der Disco eben so tut. Getrunken wird in dieser Stadt zurzeit Tannenzäpfle, das Bier aus der badischen Staatsbrauerei Rothaus. Wir tun unser Bestes, uns den landesüblichen Vorlieben anzupassen.

Bei dem Stichwort Berliner Disco fällt mir übrigens mein niederländischer Bekannter Robert ein. Er war einer der Amsterdamer Teilnehmer am bilateralen Journalistenaustausch, bei dem ich vor Monaten mitgemacht hatte.

Er hatte damals alle Neune gekegelt, weil er den obligatorischen und notwendigen Praktikumsplatz des Austausches beim ZDF ergattert hatte, bei der Politsendung „Frontal 21“ in Berlin. Weil sie beim ZDF offenbar nicht so genau wussten, was sie mit ihrem neu gewonnenen Holländer anfangen sollten, betrauten sie ihn damit, die Berliner Disco-Szene zu durchstreifen, um zu überprüfen, wie es dort mit dem Brandschutz gehalten wird und vielleicht gar einen veritablen Skandal ans Tageslicht zu hieven.

Robert machte sich eifrig ans Werk, es muss eine aufregende Recherche gewesen sein, spesenreich und langwierig. Stolz informierte uns Robert letztens per Mail, dass das ZDF nun endlich einen Sendeplatz gefunden habe, nachdem der Film monatelang auf Halde gelegen hatte. Danach meldete er sich nicht mehr. Bis in der Vorwoche auf der Titelseite der Bild-Zeitung in der Rubrik „Verlierer des Tages“ „Frontal 21“-Moderator Theo Koll auftauchte, der, so lasen wir, eine 88-sekündige Gegendarstellung verlesen lassen musste: In einem Beitrag über Brandschutz in Berliner Diskotheken seien zwei falsche Tatsachenbehauptungen aufgestellt worden. Robert ist, glaube ich, der Einzige aus dem Journalistenaustausch, der es bisher auf die Seite 1 der Bild gebracht hat. Ein Freund berichtete, Robert sei gerade etwas unglücklich. Ich werde ihn mal anrufen.

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