Altes Personal mit neuem Antlitz

In der irakischen Hauptstadt gibt es wieder eine Polizei. Die meisten Polizisten waren auch unter Saddam im Dienst. Im Gegensatz zu früher wollen sie sich jetzt für den Schutz der Bürgerrechte einsetzen. Die Todesstrafe ist außer Kraft gesetzt

aus Bagdad INGA ROGG

Ob Saddam Hussein noch frei ist oder schon in Haft, für Adil Kamel al-Ubaidi hat es keine Bedeutung mehr. Der Polizist im Rang eines Leutnants ist Chef der Hauptwache im schiitischen Viertel Kadhimiye im Norden von Bagdad. Kadhimiye gilt als eines der Armenquartiere von Bagdad, in dem die Kriminalitätsrate besonders hoch ist. Täglich sucht hier ein Heer von Tagelöhnern nach Beschäftigung.

Es ist der 17. Juli, der 35. Jahrestag der Machtübernahme durch die Baath-Partei. Ubaidis Dienstzeit ist eigentlich schon vorbei, als ein aufgeregter Mann angerannt kommt. Saddam sei festgenommen worden, sagt er. Auf der Straße sind Freudenschüsse zu hören, Autos mit jubelnden Jugendlichen fahren vorbei. Früher hätten Ubaidi und seine Kollegen dafür gesorgt, dass die Paraden und Jubelfeiern an diesem Tag reibungslos über die Bühne gegangen wären. So wie im letzten Jahr und die 20 Jahre davor, die er nun schon Polizist ist.

Doch für Ubaidi sind diese Zeiten vorbei. „Die alte Ordnung wird nicht mehr in Kraft treten“, sagt er. Auch die Saddam-Anhänger, die unter der Hand den „Kollaborateuren“ der angloamerikanischen Koalition mit Vergeltung drohen, können ihn nicht beeindrucken. „Unser Schicksal liegt in Gottes Hand“, sagt er prosaisch. „Dagegen sind auch sie machtlos.“

Schneller als viele andere hat sich der Polizeileutnant mit der neuen Zeit arrangiert. Bereits Mitte Mai kehrte er mit Genehmigung der Amerikaner an seinen alten Posten zurück. Mit ihm kamen sein Stellvertreter und 80 Prozent der früheren Mitarbeiter. Von der angekündigten Entbaathifizierung kann zumindest hier keine Rede sein. Diese soll nun eine vom neu gegründeten Regierungsrat zu schaffende Kommission übernehmen, hat der oberste Zivilverwalter für den Irak, Paul Bremer, vergangene Woche angekündigt. Es ist das stillschweigende Eingeständnis, dass sich mit dem Erlass, die obersten fünf Ränge der Baath-Partei aus den staatlichen Institutionen zu entfernen, der Filz der alten Machtelite nicht beseitigen lässt.

Fürs Erste hat man sich deshalb auf Schnellkurse für die alte Polizei beschränkt. In zwei Wochen haben Ubaidi und seine Kollegen das Einmaleins moderner Polizeiarbeit vermittelt bekommen: Festnahmetechniken, Gefahrenerkennung und Schutz von Bürgerrechten. „Ich habe mich schon früher für die Rechte der Bürger eingesetzt“, sagt Ubaidis Stellvertreter Hikmet Ali al-Juburi. „Aber jetzt, wo es keinen politischen Druck mehr gibt, hindert mich endlich niemand mehr daran.“ Mit den Soldaten von der US-Militärpolizei gebe es eine gute Zusammenarbeit, lobt Juburi. Sie würden sich nicht in ihre Arbeit einmischen.

Seit Juni gilt im Irak die Rechtsordnung von 1969, die um einige Paragraphen des britischen Rechts ergänzt wurde. So haben Angeklagte im Gegensatz zu früher jetzt von Anfang an das Recht auf einen Verteidiger, sie können die Aussage verweigern, zudem wurde die Todesstrafe außer Kraft gesetzt. Wie früher bedarf es eines richterlichen Beschlusses, um einen Täter in Haft zu nehmen.

Die Euphorie von Oberstleutnant Juburi teilt Sergeant Storm, der am Eingang Wache schiebt, nicht. „Er macht seinen Job“, sagt er leicht verdrießlich. Mit in die Luft gereckten Kalaschnikows bringen vier Polizisten einen Gefangenen in Plastikfesseln herbei. Er sei auf frischer Tat beim Stehlen erwischt worden, sagt einer. Storm nimmt ihn in Empfang und führt ihn zum Verhör. Erhärtet sich der Anfangsverdacht, wird er in das Gefängnis unter amerikanischer Kontrolle am Flughafen gebracht, erklärt Juburi. Allerdings gibt es in ganz Bagdad bislang nur zwei funktionierende Gerichte, sodass es nach wie vor kein Zeitlimit für die Untersuchungshaft gibt.

Da es keine Kriminalitätsstatistiken gibt, lässt sich schwer beurteilen, wie es um die Sicherheit in der Hauptstadt wirklich bestellt ist. Folgt man dem Urteil der in verschiedenen Stadtteilen befragten Polizisten, hat sie sich merklich verbessert. Dass aber der Schutz von Mädchenschulen zu ihren Hauptaufgaben zählt, zeigt, wie prekär die Sicherheitslage weiterhin ist.

Zwei Tage später, der Jubel in Kadhimiye ist längst verklungen. Das Gerücht von Saddams Festnahme hat sich nicht bestätigt. Doch die Händler im alten Bazar beunruhigt das kaum. „Irgendwann werden sie ihn kriegen“, sagt ein Mittfünfziger, der seinen Namen nicht nennen will. „Wenn nicht heute, dann eben morgen.“ Derweil gilt seine Hauptsorge der Sicherheit seines Stoffladens, in den schon zweimal eingebrochen wurde. Auf die Polizei ist er deshalb nicht gut zu sprechen. „Das sind die gleichen Leute, die uns auch früher schon das Leben zur Hölle gemacht haben“, schimpft er.

Aber nicht alle sehen die Lage so schlecht. Abdul Qadir, der mit Wolldecken handelt, hat von der Polizei gerade seine vor einer Woche gestohlene Ware zurückbekommen. „In diesem Stadtteil ist es deutlich sicherer geworden“, sagt er. Und wenn einer der Polizisten wie früher versucht, die Händler zu drangsalieren, dann könnten sie sich ja jetzt bei den Amerikanern beschweren.