Wie hat das nur passieren können?

„Unsere Tochter war einfach glücklich in Bremen“: Seit gestern versucht das Landgericht auszuloten, ob die psychisch kranke, gewaltbereite Susanne K. schuldunfähig war, als sie ihre junge Nachbarin mit 39 Messerstichen tötete

Bremen taz ■ Unzählige Prozesse um Mord und Totschlag hat der Vorsitzende Richter am Landgericht Harald Schmacke schon auf dem Buckel. Doch das grausige Geschehen, das seine Kammer seit gestern beschäftigt, lässt auch Schmackes Stimme gelegentlich fast brechen. Vor Gericht steht Susanne K., die am frühen Morgen des 11. Juli 2003 in der Neustadt „ohne ersichtlichen Grund“ in die Wohnung ihrer Nachbarin eindrang und die junge Studentin mit 39 Messerstichen brutal tötete.

Susanne K., eine 42-jährige, korpulente Frau, trägt eine blaue Adidas-Glanz-Jacke. Die meiste Zeit starrt sie apathisch vor sich hin – nur selten hebt sie den Blick, äugt vorsichtig in den Saal. Susanne K. ist krank. Das Gericht prüft die Schuldfähigkeit einer Frau, die offenbar seit 20 Jahren unter einer schizophrenen Psychose leidet. Die Staatsanwaltschaft hat bereits die Unterbringung in der Psychiatrie beantragt.

Bis zu einer Stunde Zeit hatte das Gericht eigentlich für eine Erklärung von Susanne K. vorgesehen. Doch die lässt es mit einem Satz bewenden, den sie ihren Verteidiger sprechen lässt. „Frau K. gesteht den Sachverhalt zu, ansonsten gibt es keine weiteren Erklärungen.“ Kein Wort zu den Eltern der Getöteten, die als Nebenkläger im Saal sitzen.

Hier blicken sie auf die Frau, die die Wohnungstüre ihrer Tochter mit einem Meißel aufbrach und dann auf das Opfer einstach. Die Studentin soll noch Reiz-Gas gesprüht haben, vergeblich. Sie starb an Blutverlust und Lungenversagen. Zur Polizei soll Susanne K. Stunden nach der Tat gesagt haben: „Das geht mir alles am Arsch vorbei.“ Die Frau habe „sehr cool und emotionslos gewirkt“, berichtet eine Kripo-Beamte.

„Unsere Tochter war einfach glücklich in Bremen“, erzählt die Mutter des Opfers gestern vor Gericht. Mit 18 Jahren sei sie aus dem Elternhaus in einer baden-württembergischen Kleinstadt in die Großstadt Bremen gezogen. Rasch habe sie dort Freunde gefunden, das Abitur gemacht, ein Studium aufgenommen. „Sie war ein sehr liebevoller Mensch.“

Eines Tages, Wochen vor der Bluttat, habe die Tochter dann völlig aufgelöst angerufen und von einem ersten Übergriff der Nachbarin erzählt, berichtet die Mutter weiter. Susanne K. habe sie geschlagen, gewürgt und ihr gedroht: „Wenn ich zum Angriff übergehe, lebst Du nicht mehr.“ Als ihre Tochter zur Polizei gegangen sei und ein Beamter den Namen Susanne K. gehört habe, sei die lapidare Antwort gewesen: „Ach, die schon wieder.“

Nebenkläger ist auch ein Mann, der ein Jahr zuvor ebenfalls Opfer von Susanne K. wurde. Eines Tages habe die Frau, die er aus der Kneipenszene kannte, ihm in einem Treppenhaus unvermittelt ein Messer in die Schulter gerammt. Er hatte Glück und überlebte.

Die Eltern der getöteten Studentin versprechen sich von dem Verfahren Antworten auf die Frage, wieso es zu der Tat überhaupt kommen konnte. „Wir möchten, dass Versäumnisse oder Mängel der Behörden aufgedeckt werden“, sagt der Vater. „Hätte man früher reagiert, würde meine Nichte jetzt noch leben“, sagt bitter der Onkel.

K. war vor der Tat immer wieder in die Psychiatrie eingewiesen, aber stets rasch wieder entlassen worden. Bremen selbst besitzt überhaupt keine Frauen-Forensik – am nächsten liegt das Landeskrankenhaus Moringen bei Göttingen. Markus Jox

Der Prozess wird heute um 9 Uhr im Landgericht, Zi. 218, fortgesetzt