berliner szenen Gespräch mit einem Igel

Eher kindlich als komisch

Es ist schön, in der Nacht vom Wedding aus nach Kreuzberg die alte Westroute mit dem Fahrrad zu fahren. Am Nordhafen, die optimistisch schweigenden Kräne in der Nacht anzustaunen, übers dunkelblau spiegelnde Wasser zu schauen. Vor Ampeln an menschenleeren Kreuzungen in der Sellerstraße zu stehen. In dieser Gegend sieht Berlin sehr großstädtisch und weitläufig aus. Und wenn es dann plötzlich raschelt, guckt man zum dunkeln Busch hin, von dem das Rascheln kommt. Um Stille bemüht, hockt man sich hin. Ein dunkles Bündel bewegt sich, ein Igel verschwindet im Dunkel der Sträucher, kehrt wieder, nachdem man ihn angesprochen hat und verharrt dann; einerseits neugierig, andererseits bereit, sofort wieder zu verschwinden. Es stimmt einen immer recht wehmütig, in der Nacht mit Igeln zu sprechen! Wenn man mit freien Tieren in der Stadt spricht, mit Vögeln im Blumenkasten etwa, hat man irgendwie auch immer so ein Gefühl, als wären sie Abgesandte geheimer oder vergessener Freunde aus diesem oder jenem Leben. Deshalb begegnet man ihnen höflich und redet auch mit ihnen. Dabei kommt man sich eher kindlich als komisch vor.

Ein Gespräch mit einem Igel ist reine Formsache, getragen von dem Wunsch um gegenseitige Anerkennung. Eigentlich hat man dem Igel nicht allzu viel zu erzählen und versteht ihn vermutlich auch nicht wirklich, aber man genießt doch das Zusammensein und wäre traurig, wenn er gleich wieder wegliefe. Aber ansonsten ist es wie bei Menschen, ausgesprochen sind die Worte schon wieder fort und man sagt „tschüss“ und steht auf und weil man sich bewegt hat, verschwindet der andere dann wieder im Dunklen und man selber dann auch.

DETLEF KUHLBRODT