Ruhe ohne Sturm

So viel ist klar: Deutschland muss heute gegen Tschechien gewinnen. Unklar ist: Wer soll das dazu nötige Tor schießen? DFB-Stürmer im taz-Test

VON FRANK KETTERER
UND THOMAS WINKLER

180 Minuten gespielt, ein Tor kassiert. Die Abwehr steht. Das ist die gute Nachricht. Die schlechte: Auch erst ein Tor erzielt. Und das war noch nicht mal so gemeint, sondern eine Flanke nach Freistoß, die unverhofft zum Torschuss geriet. Aber heute gegen die Tschechen (20.45 Uhr, ARD) muss ein Tor her, mindestens. Nur: Wer soll das machen? Ein deutscher Stürmer?

Fredi Bobic (33)

Fredi Bobic hätte mit seinen Nicht-Toren schon beinahe dafür gesorgt, dass Hertha BSC Berlin aus der Bundesliga absteigt, nun scheint er sein destruktives Werk mit der Nationalmannschaft vollenden zu wollen. Das Besondere am Chancentod aus der Hauptstadt: Spielt grauenhaft schlecht – und am Ende sind doch immer die anderen daran schuld, worüber sich Bobic dann wundert – und schmollt. Beispiel dafür: Das Spiel gegen Lettland, bei dem er 67 Minuten lang auf dem Platz herumirrte (bevor er durch den herumirrenden Miroslav Klose ersetzt wurde) – und danach beleidigt fand: „Die Letten haben nur verteidigt. Das nervt gewaltig.“ Gut, dass wenigstens der Corriere della Sera genauer hingeschaut hat. „Der Sturm mit Fredi Bobic und Kevin Kuranyi war katastrophal“, befand das italienische Fachblatt.

Thomas Brdaric (29)

Hat, und das muss man ihm zugute halten, die schönsten Strähnchen aller EM-Teilnehmer. Das Problem bleibt: Das hilft auch nicht beim Toreschießen. Eingewechselt gegen die Niederlande, eröffneten sich ihm sogar einige Chancen. Als vierter Angreifer gegen die Letten brachte er so viel zustande, dass der Corriere della Sera ihn in seiner Einzelkritik schlicht unterschlug. Trotzdem war der zuletzt bei Hannover tätige Profi umworben von solch Branchenführern wie Mönchengladbach, Hertha BSC und dem Hamburger SV, entschied sich aber für Wolfsburg, dessen Manager Peter Pander glaubt, seine Neuverpflichtung gehöre „nicht umsonst dem deutschen EM-Kader“ an. Hier hat Herr Pander natürlich Recht: Ohne Brdaric’ Strähnchen wäre der DFB-Beitrag für das deutsche Friseurhandwerk vernachlässigenswert.

Lukas Podolski (19)

Was soll man bei einer EM schon erwarten von einem gerade eben so Volljährigen, der im normalen Leben bei einem zweitklassigen Karnevalsverein kickt, dort zum Prinzen ernannt wurde und doch noch aussieht wie ein Milchbubi? Eben! Und deshalb hat Rudi Völler völlig Recht, wenn er da sagt: „Lukas ist ein Riesentalent und hier, um zu lernen.“ Auf dem Foto (rechts oben) lernt Prinz Poldi gerade seine Schuhe zu binden; was er sonst schon so gelernt hat bei der deutschen Nationalmannschaft, war bisher noch nicht zu sehen, weshalb für Milch-Poldi der Spruch gilt: Nicht für die EM lernen wir, sonden für das Leben! Andererseits verfügt der Kölner trotz seiner jungen Jahre durchaus schon über beachtliche Stärken. Seine größten Stärken sind: Bobic, Klose und Brdaric. Wenn Bundesrudi die einsetzt, kann er auch den Kölner Karnevalsprinzen mal bringen. Schlechter kann der auch nicht sein.

Miroslav Klose (26)

Will „unbedingt“, hat „viel Willenskraft“ – sagt der Kollege Kuranyi. Der merkt allerdings auch an: „im Training“. Im Spiel werde spätestens dann alles anders, „wenn er einmal trifft“. Dann könnte es aber schon zu spät sein. Wie die Nachspielzeit gegen die Letten zeigte, hat Klose selbst seine größte Stärke verlassen: das Kopfballspiel. Das liegt womöglich auch daran, was in selbigem vorgeht. Dort herrscht ziemliche Verwirrung seit Klose bei der WM in Japan und Südkorea beinahe zum Torschützenkönig geworden wäre und anschließend kurzzeitig von italienischen Klubs umworben wurde. Die Diskrepanz zwischen Kaiserslautern und der großen weiten Welt war bestimmt auch schon für größere Geister schwer zu fassen.

Kevin Kuranyi (22)

Man mag von dem Stuttgarter halten, was man will, unumstößlich fest steht: Es steht morgens keiner länger vor dem Spiegel, um seine Barthaare zu einem kleinen Kunstwerk von geradezu klassizistischer Strenge zu trimmen. Was allerdings noch mehr für ihn spricht: Er ist derzeit der einzige im deutschen Team, der die Berufsbezeichnung Stürmer wirklich verdient (auch wenn das selbst bei ihm nicht immer zum Vorschein kommt). Kuranyis Problem: Er ist zwar wieselflink, hat auch den Ball durchaus zum Freund und darüber hinaus auch noch ein Auge für die Mitspieler, bisweilen fehlt ihm aber das, was man Torriecher nennt – oder: Killerinstinkt.