Alle reden von Rooney

Nach dem 4:2-Erfolg gegen Kroatien und der Viertelfinalqualifikation sind sich Englands Coach und Englands Fans einig: Nichts und niemand kann ihren erst 18-jährigen Wundermann aufhalten

AUS LISSABON MATTI LIESKE

Irgendwann ging Otto Baric die Rooneymania der britischen Reporter gehörig auf die Nerven. Gequält verdrehte der kroatische Trainer die Augen, als ihn jemand fragte, ob es bei dieser EM denn irgendeinen gäbe, der Wayne Rooney stoppen könnte. Dann raunzte er: „Er ist ein sehr guter Spieler, aber es gibt in Europa mindestens zehn Leute, die ihn stoppen können.“ Ein Kroate ist offenbar nicht darunter. Mit zwei Toren und der Vorbereitung des Ausgleichstreffers durch Scholes zum 1:1 war der 18-jährige Stürmer vom FC Everton erneut Englands Matchwinner beim 4:2 gegen Kroatien, sorgte für den Einzug ins Viertelfinale gegen Portugal und nebenbei dafür, dass kaum noch jemand von David Beckham redet. Alle reden von Wayne Rooney.

Sehr gern auch Englands Trainer Sven-Göran Eriksson, der nicht müde wird, seinen Shootingstar, im wahrsten Sinne des Wortes, zu preisen. „Ich bin glücklich, ihn in meinem Team zu haben“, sagt der Schwede und kann sich auf Nachfrage natürlich nicht erinnern, seit Pelé 1958 einen Spieler dieses Alters gesehen zu haben, der einen solchen Einfluss auf ein großes Turnier genommen hat.

Was auch Erikssons Verdienst ist. Im Gegensatz zu Kollegen wie Menotti oder Parreira, die ihre 17-jährigen Supertalente Maradona und Ronaldo bei den Weltmeisterschaften 1978 bzw. 1994 nicht einsetzten, lässt er Rooney spielen. Und zwar ausgiebig. Ausgewechselt wird er erst, wenn er seine Schuldigkeit getan hat. Dann darf er sich den Jubel der englischen Fans abholen, die ihn vollständig in ihr Herz geschlossen haben, vor allem, weil sie ihn als einen der Ihren betrachten. Sie sind überzeugt, dass der aus einfachen Liverpooler Verhältnissen stammende Jüngling bei ihnen auf der Tribüne stände, wenn er nicht zufällig unten auf dem Rasen zu tun hätte. „Roooooney, Roooooney, Roooooney“ ist der neue Lieblingsruf der britischen Anhänger, was deutsche Zaungäste an die Huldigungen erinnert, die früher einem gewissen „Ruuuudi“ zuteil wurden.

Was Eriksson besonders gefällt an Wayne Rooney, ist, dass er „nicht nur Tore schießt, sondern Fußball spielt“. Wie es um seinen Menschenverstand generell bestellt ist, lässt sich angesichts der wüsten Geschichten aus den englischen Tabloids, aber auch seriöseren Publikationen nicht abschließend beurteilen, sein Fußballverstand jedoch ist enorm. Rooney weiß, wo der Ball in welchem Moment hin muss, er ahnt die Position freier Mitspieler, er lässt sich ins Mittelfeld zurückfallen, schließt Lücken, kann den Ball halten, verfügt über ein genaues Passspiel und hat bisher sogar das im Griff, was englische Journalisten ein wenig spitzlippig „Temperament“ nennen. „Wenn er für England spielt, benimmt er sich immer gut“, sagt Eriksson, und macht hinter dem Rücken vermutlich drei Kreuze.

Nur gegen Frankreich drohte Rooney bislang mal kurz aus der Rolle zu fallen, als Sylvestre beschloss, mit einigen herben Schubsern und Tritten seinen Geduldsfaden einer kleinen Stabilitätsprüfung zu unterziehen. Aber hätte ein anderer Schiedsrichter das Spiel gegen die Schweiz gepfiffen, hätte Rooney bisher möglicherweise nicht vier, sondern gar kein EM-Tor geschossen und stattdessen für seine Attacke mit gestrecktem Bein gegen Torhüter Jörg Stiel nicht Gelb, sondern Rot gesehen.

Bei aller Wertschätzung des Spielers, der mit Zinedine Zidane zusammen die Torschützenliste des Turniers anführt, kann man aber auch Otto Baric verstehen. Der Hype um Rooney ist ein wenig ungerecht den anderen englischen Spielern gegenüber, die, wie Baric einräumt, sehr gut gespielt hatten und „klar die bessere Mannschaft waren“. Rooney hat sein Chancen kaltblütig genutzt, aber herausgearbeitet wurden sie von einem Team, das wieder so gut funktionierte wie bei der tragischen 1:2-Niederlage gegen Frankreich. Schnelles direktes Kombinationsspiel nach vorn, ein großartiger Ashley Cole auf der linken Außenbahn, unermüdlich rackernd Lampard, Gerrard und Scholes im Mittelfeld, rechts ein Beckham mit begnadeter Übersicht und Abspielgenauigkeit – auch wenn es hin und wieder scheint, dass seine Fähigkeiten etwas untergehen, wenn er auf dem rechten Flügel spielt, weil er nie den finalen, sondern meist den einleitenden Pass spielt. Kroatien setzte alles dagegen, was es besaß, und deckte gewisse Schwächen in der hinteren Abwehrkette der Engländer auf, vor allem bei hohen Bällen. Doch es reichte trotz Niko Kovacs Tor in der 5. Minute nicht, die Engländer ernsthaft zu gefährden. „Es gibt auch einen Gegner“, knurrte Otto Baric, als ihm vorgeworfen wurde, nach der frühen Führung zu defensiv gespielt zu haben, und verwies auf diverse Verletzungen bei seinen Spielern als erschwerenden Umstand. Insgesamt bescheinigte er seiner Mannschaft trotz des Ausscheidens ein gutes Turnier.

„England ist ein sehr starker Kontrahent für jedes Team“, schätzte der kroatische Coach die Chancen der Briten bei der EM ein. „Sie werden ihr nächstes Spiel bestimmt gewinnen“, fügte Baric hinzu, sich offenbar nicht ganz im Klaren darüber, dass Englands Gegner morgen Portugal heißt. „Das wird schwierig“, sagte Sven-Göran Eriksson, „aber ein EM-Viertelfinale sollte auch schwierig sein. Ich hoffe, es wird schwieriger für sie.“ Und angesprochen auf die Baric-These von den zehn europäischen Rooney-Stoppern, meinte er: „Mal sehen, ob die Portugiesen ihn stoppen können.“ Das feine Lächeln, das dabei seine Lippen umspielte, verriet: Er zumindest glaubt es nicht.