Die Bescheid wissen

Wie neoliberale Bündnisse den politischen Diskurs in den Medien hübsch vereinfachen – besonders gerne unter Einsatz von abservierten Politikern

VON ULRIKE WINKELMANN

Manipulation ist ein veralteter Begriff, denn er unterstellt, dass die Leute nicht selbst denken können. Überhaupt hat sich die These, „Aufklärung“ befreie das „falsche Bewusstsein“ von „Ideologie“, als zumindest etwas kurzatmig erwiesen. Wie aber nennt man den Vorgang, wenn wirtschaftliche Eliten ihre Nähe zu den Medien so geschickt nutzen, dass dadurch die gesamte Diskussion etwa über das Problem „Massenarbeitslosigkeit“ auf die Problemlösung „Lohnnebenkosten senken“ zugespitzt wird?

Der Anglizismus „Agenda setting“ ist dafür eigentlich zu formlos. Wie man Meinungsführerschaft organisiert, lässt sich recht gut an Bündnissen wie der „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ (INSM) oder auch „Stiftung liberales Netzwerk“ und „BürgerKonvent“ betrachten. In diesen Projekten sammelt sich praktisch das ganze Personal der Republik, das in und mit den Medien vor allem eines zu vermitteln gelernt hat: „Reform“ und „Eigenverantwortung“ ist, was der Wirtschaft nützt und den Staat zurückdrängt.

Die INSM etwa wird von der Metallindustrie mit rund 10 Millionen Euro im Jahr bezahlt. Ein kleiner Trupp Hauptamtlicher unter Leitung des ehemaligen Financial-Times-Deutschland-Redakteurs Tasso Enzweiler organisiert ein Kommunikationsnetzwerk, das Anzeigen schaltet, Werbespots laufen lässt, Umfragen und Studien in Auftrag gibt und Podiumsdiskussionen veranstaltet. Jüngstes Beispiel ist die Kooperation mit dem Musiksender MTV: Ein Werbe-Clip mit Musikern soll gegenwärtig Jugendliche zur Jobsuche animieren.

Die INSM-Botschafter Lothar Späth (Jenoptik, früher CDU-Ministerpräsident) und Oswald Metzger (Ex-Grünen-Finanzexperte im Bundestag) haben regelmäßige Kolumnen im Handelsblatt. Die Wirtschaftswoche veröffentlicht gerne die INSM-Erhebungen. Die Financial Times Deutschland brachte erst im April eine INSM-Umfrage zum Thema Studiengebühren und präsentierte dazu den INSM-Botschafter Peter Glotz, einen altgedienten SPD-Bildungsexperten.

Nun handelt es sich bei diesen „Medienkooperationen“ nicht etwa um Verschwörungen, mit denen ein Geheimbündnis die Mechanismen zur Herstellung von Meinungsvielfalt unterlaufen will. Vielmehr dient INSM als ein Katalysator, der die Meinungsbildung im Dauerdialog zwischen Politik und Medien wirkungsvoll vereinheitlicht.

So wird aus der durchaus komplizierten Debatte um die Zukunft des Gesundheitssystems, an der sich gerade die Experten noch abarbeiten, dank INSM eine glasklare Frage: Nur das (im Übrigen von der CDU propagierte) Modell der „Kopfpauschale“ kann die Finanzierung der Gesundheit von den Lohnnebenkosten abkoppeln und ist deshalb prima.

Natürlich können sich ein Lothar Späth oder ein Oswald Metzger auch direkt an Journalisten ihres Vertrauens wenden, wenn sie etwas veröffentlichen wollen. Umgekehrt ist jede Redaktion frei, den Beitrag eines Lothar Späth oder Oswald Metzger für stichhaltig zu halten und zu drucken – oder nicht. Eine Instanz wie INSM jedoch sorgt dafür, dass der zunächst mal rein persönlichen Sicht eines Ex-Politikers der Rahmen wissenschaftlicher Expertise und politischer Bündnisfähigkeit verliehen wird.

Vor allem aber wird aus dem „Ich, abservierter Politiker“ ein „Wir, die wir wissen, was das Beste für Deutschland ist“. INSM bietet den Mitgliedern eine legitimatorische Aufwertung ihrer eigenen Interessen und verkauft (in) den Medien gleichzeitig eine moralische Überhöhung interessengeleiteter Politik. Das „Wem nützt es“ jedoch verschwindet hinter einer Rethorik, wonach der Untergang Deutschlands unmittelbar bevorsteht, wenn die Sozialsysteme nicht sofort auf Elendsmilderung heruntergefahren werden. Schön, wenn man weiß, wer dahinter steckt.

Auf dem Kongress „Gesteuerte Demokratie? Wie neoliberale Eliten die Politik beeinflussen“ vom 25. bis 27. Juni 2004 in Frankfurt/M. wird „Agenda-Setting“ diskutiert. www.gesteuerte-demokratie.de