Abkehr vom Multilateralismus

Neue Runde der Sechser-Gespräche über Nordkoreas Atomprogramm: Die USA sind vor ihren Wahlen passiv, Japan und Südkorea reden lieber allein mit Nordkorea

PEKING taz ■ Es sieht aus, als hätten in Ostasien die Großmächte die Sicherheitspolitik fest im Griff. Zum dritten Mal treffen sich heute in Peking die großen vier der Region – China, USA, Japan und Russland – mit den Vertretern Nord- und Südkoreas, um über eine atomwaffenfreie koreanische Halbinsel zu verhandeln. Auslöser dieser Sechser-Gespräche ist Nordkorea, das sich Ende 2002 aus dem Atomwaffensperrvertrag zurückzog und die Inspektoren der UN-Atomenergiebehörde auswies. Damals hatte US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld noch damit gedroht, dass die USA gegen Nordkorea und Irak gleichzeitig Krieg führen könnten. Doch später kam es auf Initiative Chinas zum Versuch der vier beteiligten Großmächte, die Atomabenteuer von Nordkoreas Diktator Kim Jong Il diplomatisch zu beenden.

Die Sechser-Gruppe traf sich erstmals im August 2003 in Peking und dann wieder im Februar. Dabei verbesserte sich das sonst schwierige Verhältnis zwischen China und den USA. Man sprach plötzlich von einem politischen Vertrauensverhältnis. Russland nutzte seine alte Nähe zu Nordkorea in der Vermittlerrolle. Sogar die Japaner, die sonst stets Verrat wittern, wenn sich ihre amerikanischen Verbündeten auf engere Gespräche mit den Chinesen einlassen, ließen es willig geschehen. Denn solange alle die Eskalation zwischen Washington und Pjöngjang fürchteten, schienen die Sechser-Gespräche als bester Ausweg.

Inzwischen aber scheint die Gefahr zumindest auf US-Seite gebannt: Niemand glaubt mehr an eine entscheidende Nordkorea-Aktion der USA vor den Präsidentschaftswahlen im November. Damit aber laufen auch die Sechser-Verhandlungen auf Grund. Gastgeber China kritisierte erst kürzlich, dass die USA ihre Vorwürfe, Nordkorea unterhalte ein geheimes Urananreicherungsprogramm zur Atomwaffenproduktion, auf nicht nachprüfbare Geheimdienstquellen stützten. Die Amerikaner bestehen auf ihren Angaben und sehen Nordkorea inzwischen im Besitz von bis zu acht Atombomben.

Doch mit den CIA-Flops im Irak verloren Washingtons Nordkorea-Infos an Glaubwürdigkeit. So gehen die anderen Gesprächspartner, vor allem Südkorea und Japan, heute eigene Wege gegenüber Nordkorea. In Seoul verlieh der nach der Parlamentswahl wiedererstarkte Präsident Roh Moo Hyun seiner Annäherungspolitik gegenüber dem Norden neuen Schwung. Derweil ging Japans Premier Junichiro Koizumi direkt auf Kim zu: Mit einem Blitzbesuch in Pjöngjang erwirkte er im Mai die Freilassung japanischer Geiseln, die Nordkorea einst zu Spionagezwecken entführt hatte. Von einer koordinierten Politik gegenüber Nordkorea kann so immer weniger die Rede sein. Für die dreitägigen Gespräche in Peking verspricht das nichts Gutes. GEORG BLUME