Auslieferung trotz drohender Folter

Bundesverfassungsgericht: Deutschland darf flüchtige Straftäter nach Indien ausliefern, auch wenn dort Folter als Verhörmethode verbreitet ist. Deutsch-indischer Auslieferungsvertrag soll Einhaltung von Mindeststandards sichern

aus Freiburg CHRISTIAN RATH

Die Auslieferung vermeintlicher Straftäter nach Indien ist zulässig, obwohl dort häufig gefoltert wird und die Haftbedingungen miserabel sind. Das entschied gestern der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts mit sechs zu zwei Richterstimmen.

Konkret ging es um den Fall eines Mannes aus dem Südsee-Kleinstaat Vanuatu, der in Deutschland festgenommen wurde, da ein internationaler Haftbefehl bestand. Die indische Justiz will ihm den Prozess machen, weil er eine Bank in Kalkutta um umgerechnet rund zwei Millionen Euro betrogen haben soll. Das Oberlandesgericht München hatte keine Bedenken gegen die Auslieferung.

Der Berliner Anwalt Steffen Ufer sah dagegen Menschenwürde und körperliche Unversehrtheit seines Mandanten bedroht. Er verwies auf den Lagebericht des Auswärtigen Amtes, wonach Folter in Indien eine häufig angewandte Verhörmethode sei. Nach diesem Bericht seien auch die Haftbedingungen in den fünffach überbelegten indischen Gefängnissen „desolat“. Oft stünden keine Betten zur Verfügung, im Winter fehlten Decken.

Das Verfassungsgericht lehnte die Verfassungsbeschwerde gestern dennoch ab. Die Entscheidung der Münchener Richter sei „nachvollziehbar“. So habe der Mann nicht dargelegt, warum gerade ihm Folter drohe. Auch von seinen bereits verurteilten Mitangeklagten sei nichts dergleichen bekannt geworden. Zudem sei Indien kein Land, in dem systematisch die Menschenrechte verletzt würden. Folter sei verboten, Folterer würden „verstärkt“ bestraft, der Staat führe sogar Kampagnen zur Bewusstseinsbildung durch.

Ins Feld führte das Münchener Gericht auch ein Auslieferungsabkommen, das Deutschland und Indien 2001 geschlossen haben. Die Bundesregierung hätte ein solches Abkommen nicht unterzeichnet, so die Argumentation aus Bayern, wenn es in Indien systematische Menschenrechtsverletzungen gäbe. Anwalt Ufer hielt dem entgegen, hier werde vom Soll- auf den Ist-Zustand geschlossen.

Das Bundesverfassungsgericht ergänzte nun, die indische Seite habe sich durch den Vertragsschluss zumindest für die Zukunft zur Einhaltung völkerrechtlicher Mindeststandards verpflichtet. Auch wenn in Indien Folter weit verbreitet ist, seien jedenfalls Personen geschützt, die aus Deutschland ausgeliefert werden. Darüber wache auch die deutsche Botschaft in Indien.

Auch die zwei linken Richter Bertold Sommer und Gertrude Lübbe-Wolff hielten diese Ausführungen zur Foltergefahr in ihrem Sondervotum für „vertretbar“. Nach ihrer Ansicht hätte das Oberlandesgericht aber konkret überprüfen müssen, ob dem Mann aus Vanuatu unwürdige Haftbedingungen drohten.

Auf Abschiebungen, die viel häufiger sind als Auslieferungen, ist das Urteil nur bedingt übertragbar. Dort gelten eigene Regeln. Bei der Auslieferung will das Zielland einen vermeintlichen Straftäter überstellt bekommen, bei der Abschiebung will Deutschland eine Person loswerden – egal wohin.