Rahmen der Natur

Wie retrospektiv kann work in progress sein? Mark Dion im Hannoveraner Kunstverein

Kunst ist eine eigene Form der Forschung. Zumindest, wenn man sie so betreibt wie Mark Dion, dem der Hannoveraner Kunstverein eine Art Retrospektive widmet. Weltweit ist der umtriebige Amerikaner aktiv, und stets spielen die Orte, die er bespielend entdeckt, eine entscheidende Rolle. Für Furore weit über Norddeutschland hinaus hatte 2002 seine gemeinsam mit der Galerie für Landschaftskunst realisierte schwimmende biologische Forschungsstation Alster in Hamburg gesorgt. Eine durch Fleete treibende Schute, innen als eine Art Labor ausgestattet – ein begehbares Bild, das die und das über die Vorstellungen von Natur in der Stadt reflektierte.

Die Vorstellung – das ist wichtig: Mark Dion, darin ein echter Kantianer, geht es nicht um die Natur an sich, sondern um die Rahmen, die sie erkennbar machen – ihren lokalen Wandel inklusive. Dass dieser Ansatz überhaupt retrospektivefähig ist – und wie er sich noch dazu in das Medium einer Wanderausstellung übertragen lässt – ist die vielleicht überraschendste von der Hannoveraner Ausstellung vermittelte Erkenntnis. Denn Hannover ist die letzte Station, die Encyclomania anläuft. Zuvor war die Schau bereits in Esslingen und in Bonn zu sehen.

War sie es wirklich? Das Personalpronomen stellt eine trügerische Identität her: Zwar besteht die Schau aus einem festen Korpus von Arbeiten der vergangenen fünf Jahre. Da ist, ein eindrucksvoller Auftakt, die „Mobile Wilderness Unit“ (2001), ein ausgestopftes Wisent in einem zum Diorama ausstaffierten grasgrünen Zirkuswagen. Oder das barocke dreiteilige „Theatrum mundi“ – zwei Holzschränke vollgestopft mit historischen Naturforscher-Utensilien, zwischen ihnen, in einem Uhrenkasten, ein Skelett: Sammeln zwischen Manie und Anspruch der Welterfassung.

Doch hat Dion die Schau an jedem Tournee-Ort gleichsam neu formuliert. So regte er in Hannover Studierende der Fachhochschule an, inspiriert durch den Fundus des Landesmuseums, eigene Positionen zum Thema Erinnerung und Verlust zu entwickeln. Die entstandenen Arbeiten in die eigene Retrospektive zu integrieren, öffnet, über ihre Funktion als elegante Form der Talentförderung hinaus, die monographische Schau zu einem Dialog, der teils den Ansatz Dions fortschreibt, teils ihm jedoch auf zarte und doch selbstbewusste Weise widerspricht. Benno Schirrmeister

Mark Dion, Encyclomania, Kunstverein Hannover, bis 10. August