Hauptdarsteller im eigenen Film

Im Prozess gegen einen Busentführer bleibt unklar, was ihn zu seiner Tat getrieben hat. Im September hatte er einen Fahrer zu neunstündiger Irrfahrt gezwungen

Es war nicht das erste Mal, dass Remo U. ein Fahrzeug kidnappte. Schon ehe er vorigen September am Bahnhof Veddel einen Busfahrer zwang, mit ihm zu einer neunstündigen Irrfahrt aufzubrechen, hatte er einmal eine Taxifahrerin entführt. Damals, so sagt er, wollte er nach Geesthacht, und einen Bus dorthin gab es nicht. Warum er ein zweites Mal eine solche Tat beging, erklärt der 21-Jährige nicht, als vor dem Jugendschöffengericht der Prozess gegen ihn eröffnet wird. Ob er einmal einen „großen Auftritt“ haben wollte? „Vielleicht ein bisschen.“

Was in der Nacht des 29. September auf den Straßen zwischen Hamburg und Berlin geschah, liest sich wie ein Ganovenstück, ein Schwerverbrechen oder eine Rauschtat ohne Sinn und Verstand, je nachdem, wer die Geschichte erzählt. Remo U., blass und mit zurückgegeltem Haar, ist Alkoholiker, und auch an jenem Tag hatte er 2,5 Promille. Nachmittags war er „nach Minimal rein“ und hatte sich eine Flasche Korn gekauft, und als die fast leer war, sei ihm die Idee gekommen, einen Bus zu überfallen. Erst sagt er, er wollte dadurch Geld besorgen, aber warum er den Fahrer dann zum Losfahren zwang, sagt er nicht. Im Laufe der Fahrt hat er noch drei Teenagerinnen eingeladen, die in der Hoffnung eingestiegen waren, mitten in der Nacht doch noch von ihrer Party nach Hause zu kommen. Unterwegs hat er sie und den Fahrer bedroht, mit Messer und Pistole. Auf der Autobahn Richtung Berlin hat er dann aufgegeben und seine Geiseln aus dem Bus gelassen. Warum das alles? Schulterzucken.

Für den Busfahrer war die Entführung eine Situation, in der er gemerkt hat, „wie schnell ein Leben zu Ende sein kann“. Seinen Entführer hat er als aggressiv empfunden, und seine Drohungen, ist er überzeugt, meinte er „sehr, sehr ernst“. Noch heute plagen ihn Alpträume, und wenn er nachts fährt, sagt er, „ist mir schon ziemlich mulmig zumute“. Andererseits, verrät der Busfahrer am Rande des Prozesses, tut ihm der Entführer ein bisschen Leid. „Ich hoffe, dass er seinen Weg wieder findet.“

Für die drei Teenagerinnen, die am Bahnhof Bergedorf zugestiegen waren, ging die Sache los wie ein großes Abenteuer. Einen Bus nach Hause gab es nicht mehr, und Remo U. hatte ihnen beim Einsteigen gesagt, „das ist unser Bus, wir können fahren, wohin wir wollen“. Erst später haben sie bemerkt, dass sie Opfer einer Entführung waren, und dann kam es ihnen vor, als habe der Täter seinen Lieblingsfilm „Speed“ nachgespielt. Er sei aggressiv aufgetreten. Und stolz darauf, „dass er in den nächsten Tagen bestimmt im Fernsehen zu sehen sein wird“.

Remo U. sitzt im Gefängnis Hahnöfersand. Zum Prozess kam er fast eineinhalb Stunden zu spät – weil kein Justizpersonal da war, das ihn zum Gericht hätte bringen können. ELKE SPANNER