in fußballland
: CHRISTOPH BIERMANN über Spucken und Treten

Lob der Angst

Die Anekdote mit dem FC Wimbledon kannte Christian Hochstätter nicht, aber der Manager von Borussia Mönchengladbach lächelt, während ich sie ihm erzähle, und hat dann eine Geschichte parat, die noch besser ist. Als wir in seinem Büro unter den Erinnerungswimpeln großer Spiele sitzen, ist Hochstätter der seltsame Unterton der beiden Geschichten durchaus bewusst, und doch lächelt er.

Ich habe ihm davon erzählt, wie der FC Wimbledon als Aufsteiger in England vor vielen Jahren zum ersten Mal beim FC Liverpool antreten musste. Damals hatte der Klub ein Team, das „Crazy Gang“ genannt wurde, weil es so wild, unberechenbar und knüppelhart spielte. Obwohl ohne Tradition und große Gefolgschaft, wollten sie sich von niemandem beeindrucken lassen, auch vom großen FC Liverpool nicht. Als sie dort durch den Spielertunnel liefen, wo ein Schild über den Köpfen der Profis jeden Gast einschüchternd daran erinnerte, „This is Anfield“, spuckten sie im Vorbeigehen darauf – und gewannen das Spiel.

Auch Hochstätter erzählt vom Weg zum Platz, allerdings im Stadion Santiago Bernabeu von Madrid. Borussia Mönchengladbach hatte 1985 in der dritten Runde des Uefa-Cups das Hinspiel gegen Real mit 5:1 gewonnen, Thomas Krisp dabei seinen Gegenspieler angespuckt, der hatte zurückgespuckt und war vom Platz gestellt worden. Provokateur Krisp jedoch nicht, und das sollten die Borussen im Rückspiel zu spüren bekommen. Als der Schiedsrichter pfiff, kamen die Borussen zuerst in den Spielertunnel des Bernabeu-Stadions, der durch einen Zaun in der Mitte geteilt ist. Dann sprang die Tür zur Kabine von Real Madrid auf, und unter großem Geschrei stürzten die Spieler an den Trennzaun, schrien und spuckten die Gladbacher an. Der kleine Stürmer Juanito deutete immer wieder auf Krisp und zog demonstrativ den Zeigefinger an seiner Kehle entlang. Erschrocken wichen die Gladbacher Profis an die Wand zurück. „In diesem Moment hatten wir das Spiel verloren“, sagt Hochstätter. 4:0 siegte Real und kam eine Runde weiter, „aber wenn sie sechs Tore hätten schießen müssen, wäre ihnen das auch gelungen.“

Man muss nicht unbedingt Vergnügen an Anekdoten haben, die dem Tierreich entlehnt scheinen, wo Vögel rote Kehlsäcke vorzeigen oder Menschenaffen auf der Brust herumtrommeln, um Rivalen zu vertreiben. Aber wer weiß, wie es vor fast zwei Jahrzehnten ausgegangen wäre, hätten die Borussen zurückgespuckt.

Hochstätter erzählt dann noch, wie er als junger, hungriger und unerfahrener Spieler an der Bökelberg kam. Damals wollte er gleich in einer der ersten Trainingseinheiten zum Schuss ansetzen. Ein toller Schuss sollte das werden, er konnte den Ball schon in den Winkel fliegen sehen, als er ausholte – und schreiend liegen blieb. Hochstätter war am Schussbein getroffen worden und es tat so weh, dass ihm Tränen die Wangen herunterliefen. Die Schwellung war groß wie ein Taubenei und vier Wochen Verletzungspause standen bevor. Doch während Hochstätter dort lag, sagte ihm sein Mannschaftskamerad Wilfried Hannes, der so grob gefoult hatte, er müsse immer den Blick oben halten, dann würde er solchen Attacken ausweichen können. Nach dieser Schule des Schmerzes ist ihm das nie wieder passiert.

Dann reden wir noch darüber, dass jede Mannschaft eigentlich ihre Bösewichter braucht, die bereit sind, dem Gegner wehzutun. Wir sprechen über ein demonstratives Foul von Effenberg an Beckham und wissen, dass wir uns mit dem Lob von Angst und Schrecken auf gefährlichem Terrain bewegen. Später fällt mir ein, wie mir Hans Tilkowski mal erzählt hat, dass sich bei den Lokalderbys der 50er-Jahre zwischen Westfalia Herne und dem SV Sodingen fast immer irgendein Spieler das Bein gebrochen hat. Von Angst davor hat Tilkowski nicht gesprochen – aber er hat dabei gelächelt.