Kulturell verträglicher Tod

„Deep North“ ist der Titel der transmediale 09. Im Fokus stehen die kulturellen Konsequenzen des Klimawandels. Den politischen Klimawandel zeigt die Ausstellungsarchitektur von Raumtaktik

VON MARCUS WOELLER

Change allerorten! Veränderungen sind aber meist erst dann positiv besetzt, wenn der aktuelle Istzustand nicht mehr erträglich ist. Beim Klimawandel fiel das leider erst spät auf. Mahnende Stimmen in den 1980er-Jahren wurden abgetan als Panikmache der Müslifraktion. Erst seit einigen Jahren ist Öko ein Gütesiegel und keine soziale Brandmarke mehr. Die britische Künstlerin Michiko Nitta macht sich lustig über den gegenwärtigen Hype ökologisch gutmenschelnder Gesinnung. Sie propagiert ihr fiktives Netzwerk „Extreme Green Guerillas“: Die Menschen leben autark, verweigern die Nutzung digitaler Massenmedien, Post wird per „Animal Message Service“ zugestellt. Ratten und Tauben werden zu Nahrung verarbeitet, um Ressourcen zu sparen. Radikal bietet sie auch die Möglichkeit für eine Art kulturell verträgliches Frühableben an, per Chip im Ohr wird die individuelle Sterblichkeit auf den 40. Geburtstag vereinheitlicht. Für ihre sarkastisch irritierende Arbeit ist sie für den „transmediale Award 2009“ nominiert.

„Deep North“ heißt das Motto der transmediale 09 und will damit den Fokus auf die kulturellen Konsequenzen des Klimawandels legen. Denn es verändert sich nicht nur das Klima in meteorologischer Hinsicht, sondern ganz drastisch auch ökonomisch, gesellschaftlich, politisch, psychologisch. Die Atmosphäre wird einfach eine andere sein in zehn, zwanzig oder fünfzig Jahren. Für die Festivalarchitektur im Haus der Kulturen der Welt ist das Berliner Büro Raumtaktik verantwortlich. Friedrich von Borries und Matthias Böttger haben ein räumliches Konzept entwickelt, das auch als eigenständig künstlerischer Beitrag funktioniert. „Als wir eingeladen wurden, die Ausstellungsarchitektur zu machen, haben wir uns überlegt, definieren wir Deep North jetzt als Kälte oder gehen wir einen Schritt weiter und setzen uns mit den Folgen auseinander. Wir werden viel stärker mit Migrationsthematiken konfrontiert sein, also musste das Thema unserer Architektur das Flüchtlingslager sein“, erklärt Borries das nomadische Prinzip des Entwurfs. „Wir haben uns Bilder von Flüchtlingslagern angeschaut, um zu sehen, welche Materialien da verwendet werden, und uns dann natürlich der Frage gestellt, dass die Ausstellung hier jetzt nur eine Woche läuft. Was will man da eigentlich bauen? Damit fiel die Entscheidung, dass wir so viel wie möglich recyceln wollen, dass wir keine Materialien neu kaufen müssen.“

Das paradigmatische architektonische Zeichen jedes temporär angelegten Lagers findet sich in der Ausstellung wieder. Schon vom Dach leuchten einem nachts angestrahlte Zelte entgegen. Die archaischen Wigwams aus Latten und Bauplanen interpretieren die Urhütte als Notarchitektur auf Zeit. Innen wirken die transluzenten Planen gleichzeitig als Sichtschutz und Abgrenzung, aber auch als Projektionsflächen für Videos. Das Material entstammt zum großen Teil einer Recyclingbörse. Ein Hostel stellte alte Matratzen zur Verfügung, die in Folie verpackt nun als Sitzinseln dienen. „Für uns war es eine absolut positive Erfahrung, dass sich auch alle Künstler darauf eingelassen haben, mit dieser Architektur zu arbeiten. Wir wollen keine sauberen weißen Flächen, sondern nehmen diese gebrauchten Folien, egal ob sie eine Naht haben oder einen kleinen Riss. Die Arbeiten treten dadurch in einen anderen Kontext.“

Raumtaktik steht für räumliche Aufklärung und Intervention. Mit ihrem Anspruch, die Produktionsbedingungen von Raum im Kontext von Migration, Globalisierung, ökonomischem Wandel und Tendenzen der Kommerzialisierung und Karnevalisierung von Architektur zu untersuchen, haben sie im letzten Jahr die Ausstellung „Updating Germany“ im Deutschen Pavillon auf der Architekturbiennale in Venedig kuratiert.

Schmutzig-weiß, hellblau, holzfarben – ganz zufällig passen die Farben der Materialien auch zu Deep North. Jan-Peter E. R. Sonntag präsentiert in der Ausstellung etwa einen Eisblock, in dem er Tonabnehmer installiert hat. Daneben hängt eine Videoprojektion von einem grau verregneten Fjord. Die Besucher sind eingeladen, sich auf ein Podest davor zu stellen. Über den Kopfhörer vernehmen sie dann eine Soundcollage aus Regenprasseln, auftauendem Eis und modulierten Umgebungsgeräuschen, welche die vermeintlich sichere Standfläche vibrieren lässt. Auch bei Jana Linke wird bald alles mit allem zusammenhängen. In einem provisorischen Raum lässt sie einen Heliumballon fliegen, der an die Wände stößt und dort mittels montierter Heißklebepistole hauchdünne Nylonfäden verklebt. So wird sich der Ballon über den Lauf der Ausstellung selbst in einen Kokon einspinnen. Eine poetische Arbeit, analog und digital zugleich, die deutlich macht, dass man sich gerade in seidenen Fäden verheddern kann. Insgesamt 27 Arbeiten setzen sich künstlerisch mit möglichen Szenarien des Klimawandels auseinander.

„Survival and Utopia – Visions of Balance in Transformation“. Bis 1. 2. 09, täglich 10–22 Uhr, Haus der Kulturen der Welt, www.transmediale.de