Kann man einen Menschen vollständig kennen? „Fremder Freund“ im Metropolis
: Mein Freund, der Fundamentalist

Es ist schon irgendwie paradox: Da wird, wenn auch mit gutem Grund nicht mehr so sehr wie in den 90ern, so doch immer mal wieder beklagt, dass deutsche Filme sich zuwenig der Themen annähmen, die „auf der Straße“ lägen. Aber wenn dann ein kleiner Film kommt wie Fremder Freund, in dem der junge Regisseur Elmar Fischer den unmittelbaren Auswirkungen der Anschläge des 11. September 2001 auf die deutsche Befindlichkeit an einem einzelnen Fall nachspürt, dann ist es sehr vielen auch wieder nicht recht.

Der Film falle, nachdem das komplexe politisch-religiöse Beziehungsgeflecht des Terrors in den letzten beiden Jahren schon recht genau analysiert worden sei, nun in die Psychologisierung des ersten Schreckens zurück, hieß es – viel schneller kann ein Spielfilm, zumal ein mit äußerst bescheidenen Mitteln produzierter, nun mal nicht fertig sein. Oder dass das schlussendliche, in den Laptop getippte Bekenntnis des nachhaltig irritierten Protagonisten: „Ich weiß nicht, was du machst, ich weiß nicht was du tust. Ich habe einen schrecklichen Verdacht, für den ich mich schäme“, nicht kinogemäß sei.

Ein halbes Jahr nach seinem Bundesstart ist der von den Berichten um den Selbstmordattentäter Mohammed Atta, der vor den Anschlägen bekanntlich in Hamburg-Harburg gelebt hatte, inspirierte Film endlich auf einer Hamburger Leinwand zu sehen. Nicht nur seiner große Spontaneität ausstrahlenden digitalen Bilder wegen fügt er sich perfekt ein in die Metropolis-Reihe „Deutschland, revisited“, deren Filme fast durchgängig von einem erfrischend unbestechlichen Blick zeugen, den immer mehr junger deutsche Regisseure für die Lebenswirklichkeit in diesem Land entwickelt haben.

Wie eine Recherche hat Elmar Fischer, der von Haus aus Journalist ist – und zusammen mit dem SZ-Filmkritiker Tobias Kniebe auch für das Drehbuch verantwortlich zeichnet – seinen ersten Spielfilm angelegt. So folgt die Erzählung in Rückblenden den Fragen, die sich Chris (Antonio Wannek) in den Tagen nach den Anschlägen vom 11. September bezüglich seines aus dem Jemen stammenden Freundes und Mitbewohners Yunes stellt (Navid Akhavan), der am 7. September 2001, dem Morgen nach einer feuchtfröhlichen Party, plötzlich spurlos verschwunden ist. Zwei Jahre zuvor hatten die beiden Studenten sich in einem Berliner Gemüseladen kennengelernt, weil Yunes ein Zimmer suchte und Chris eines zu vermieten hatte. Sie befreundeten sich schnell und hatten eine gute Zeit – zusammen mit Chris‘ Freundin Julia (Mina Tander) und Yunes‘ bald erobertem Schwarm Nora (Mavie Hörbiger).

Gern schaut Chris auch bei Yunes‘ Islam-AG an der Uni vorbei. Aber dann offenbart Yunes Seiten, die alle irritieren: Auf einen Flirt Noras mit einem anderen Mann reagiert er unerwartet heftig. Aus einem Heimaturlaub kommt er stark verändert zurück, er ist in seinem Glauben viel fundamentalistischer geworden. Urplötzlich will er ein Praktikum ausgerechnet in Pakistan machen ...

„Wie nah kann man sich sein, ohne fremd zu bleiben?“, lässt Elmar Fischer seinen am Ende sichtlich gezeichneten Protagonisten sich fragen – eine Frage, die sich auch direkt an den Zuschauer richtet. Und eine Frage, die nicht nur über diese eine Situation hinausgeht – kann man, will man einen Menschen jemals vollständig kennen? – sondern sich auch nicht einfach mit dem Hinweis wegwischen lässt, der Film bestätige doch nur dumpfe Ressentiments. Weder dienen seine Bilder der bloßen Illustration vorgefasster Thesen – wie etwa in Max Färberböcks September – noch halten sie eindeutige Antworten bereit. In Fremder Freund ist das Wissen seiner Macher spürbar, dass ihr Film kein direktes Abbild der Wirklichkeit ist, sondern ein Konstrukt, das den Zuschauer zu einer eigenen Haltung auffordert. Eckhard Haschen

Sa 19 Uhr, So + Mo 21.15 Uhr, Di 19.15 Uhr, Metropolis