Mittsommernachtsmafia

Italien ist sich sicher: Das 2:2 zwischen Dänemark und Schweden ist Ergebnis einer Verschwörung. Und Italien hat Recht. Das belegt eine Enthüllungsreportage aus den Eingeweiden der Konspiration

AUS HAMMERFEST MATTI LIESKE

Die gesamtskandinavische „Zentrale für abgefeimte Sportverschwörungen, konspirative Spielverläufe und fortgeschrittene Manipulation von Endergebnissen“ (ZASKOM) ist im Keller eines unscheinbaren Mietshauses in der Nähe des Rathauses von Hammerfest untergebracht. Dort, wo der nicht eingeweihte Norweger höchstens umfangreiche Lebertranvorräte, frostzerfressenes Gerümpel und tiefgefrorene Rattenkadaver vermutet, befindet sich ein hochmodernes, mit fortgeschrittenster Computertechnik bestücktes Labor, das bisher kaum jemand betreten hat, der nicht zum innersten Kreis dieser streng geheimen Institution gehört.

Heute jedoch herrscht höchste Betriebsamkeit, denn es gilt, das Europameisterschaftsspiel Schweden – Dänemark in bewährter Form zu betreuen. So fällt es niemandem auf, dass der Pizzabote das Gebäude nicht wieder verlässt, sondern sich an einen der etwa 200 Computerterminals setzt, wo bereits emsige Agenten mit konzentrierten Mausbewegungen an der Arbeit sind. Noch weniger fällt es auf, dass der Pizzabote gar kein Pizzabote ist, sondern ein investigativer Rechercheur einer kleinen deutschen Tageszeitung. Die Verschwörungsspezialisten bemerken nicht mal, dass er gar keine Pizza dabei hat. Es ist der Tag X, wer denkt da schon an leibliche Bedürfnisse.

„Es geht los“, ruft der Leiter der Einrichtung, der finnische Konspirationstheoretiker Säämi Hautamiitiinen, „die Hymnen sind zu Ende.“ Kurz fasst er noch mal die Strategie für die Partie im Bessa-Stadion von Porto zusammen. „Es muss wie gewohnt alles ganz normal wirken. Die beiden Mannschaften sollen spielen wie immer. Wir greifen nur ein, wenn es unbedingt sein muss.“ Auf einem großen Fernsehschirm läuft die Direktübertragung der Partie, aber darauf können sich die Hammerfester Manipulationsspezialisten natürlich nicht verlassen. Das Spiel wird auch über Satellitenkameras verfolgt, die jede Spielerbewegung auf die Computerbildschirme übertragen. Zeit, mein Mahjongg-Spiel zu beenden, bloß nicht auffällig werden.

Auch das Match Italien – Bulgarien in Guimarães wird genau beobachtet. „Denkt dran, die Italiener schlafen nicht“, ruft Hautamiitiinen seinen Leuten in Erinnerung. Die Konkurrenz in Rieti arbeitet inzwischen ebenfalls auf höchstem Niveau, wie die Skandinavier schmerzlich erfahren mussten, als es den Italienern gelang, mittels einer gezielten Demotivationskampagne Mika Häkkinen als Konkurrenten von Ferrari-Pilot Michael Schumacher zu eliminieren. Die Spieler in Porto sind natürlich alle verkabelt und jederzeit in der Lage, Anweisungen entgegenzunehmen. Zunächst ist das aber nicht nötig, sie haben völlig freie Hand, nur ein Tor müssen sie sich vorher genehmigen lassen. Klar ist, dass Tore fallen sollen, da ein 0:0 oder 1:1 unter Umständen die Italiener weiterbringen würde, erst ein 2:2 lässt ihnen keine Chance.

Das Spiel hat begonnen, die Nervosität ist nun mit Händen zu greifen, auch auf dem Spielfeld in Porto. Vor allem der junge Källström dreht fast durch vor Aufregung. „Ruhig, ruhig, wir haben alles im Griff“, mahnt Professor Hautamiitiinen die Akteure, „aber es darf nicht zu freundschaftlich aussehen, lasst es ruhig mal krachen.“ Das lässt sich Groenkjaer nicht zweimal sagen und haut Edman um. Zehn Minuten sind gespielt. Alles läuft gut.

Gegründet wurde die Hammerfester ZASKOM Anfang der 80er-Jahre als Reaktion auf die notorische Erfolglosigkeit Skandinaviens im Weltsport. Den letzten Anstoß gab die deutsch-österreichische Kooperation von Gijón bei der Fußball-WM 1982, ein frühe, unausgereifte und äußerst plumpe Anwendung der sportlichen Konspirationstheorie. „Das können wir besser“, sagte Säämi Hautamiitiinen damals und machte sich ans Werk.

Die Erfolge stellten sich fast umgehend ein. Zunächst im dänischen Fußball, wo das Projekt, das hochtalentierte Brüderpaar Beto und Mano Ladrão aus dem brasilianischen Belo Horizonte unter dem Namen Laudrup als Dänen auszugeben, perfekt funktionierte, vor allem aber im schwedischen Tennis. Größter Coup war die Einschleusung der grönländischen Spezialagentin Barbara Feltus ins engere Umfeld von Boris Becker, worauf dieser jahrelang gegen Stefan Edberg keine Chance mehr hatte.

„Ein bisschen mehr Gehässigkeit, das sieht ja aus wie ein Freundschaftsspiel“, ruft Hautamiitiinen jetzt. Das ist Ljungbergs Stichwort. Rasanter Angriff auf Dänemarks Torwart Sörensen, der wälzt sich ein bisschen, die Fans toben, Mission erfüllt. Wenig später ist Tomasson frei. „Darf ich?“, raunt er ins Mikrofon. „Okay“, gibt der Chef grünes Licht, und schon zappelt die Kugel im Netz. Die Schweden geben sich pflichtschuldigst erschüttert, die restliche Viertelstunde der ersten Halbzeit ist Formsache.

Dann der Hammer: Bulgarien geht gegen Italien kurz vor der Pause 1:0 in Führung. „Da ist den Kollegen wohl was schief gegangen“, grient Hautamiitiinen und macht sich gut gelaunt daran, den Spielern ihren Halbzeitinstruktionen zu übermitteln. „Du kommst schön langsam raus“, erklärt er Sörensen, „und greifst Henrik in die Beine. Aber nicht so, dass dieser Schiri dir Rot zeigt.“ Alles klappt hervorragend, auch wenn Sörensen etwas Schwierigkeiten hat, dem Elfmeter von Larsson auszuweichen. 1:1, doch die schlechte Nachricht folgt auf dem Fuße: Italien hat ausgeglichen. Wahrscheinlich muss also doch die 2:2-Variante her.

Trotzdem hat sich die Stimmung im Raum entspannt. Schlecht für mich! „Neu hier?“, fragt breit lächelnd mein Nachbar, ein unangenehm aufgeschlossener Zeitgenosse, wie es scheint. „Mmhmhm“, brummele ich und starre intensiv auf den Bildschirm. „Auch aus Helsinki?“, fragt er unbeirrt weiter. Ich nicke, doch die Kalamität, akzentfrei Finnisch sprechen zu müssen, bleibt mir erspart. Tomasson hat einen Querschläger ins Eck gejagt, diesmal ohne zu fragen. „So ein Schlawiner“, schimpft der Professor und schaut zur Uhr. „Naja, 66. Minute, war sowieso fällig.“ Kurz danach ist Ebbe Sand frei. „Und?“, ruft er. Dem Boss ist die Sache zu riskant, er traut den Italienern nicht. „Hochziehen“, lautet das Kommando, der Schalker jagt den Ball drüber. Gerade noch glaubwürdig. War ja Ebbe, und nicht Tomasson.

Die Sache scheint langsam auszulaufen und Hautamiitiinen ist geneigt, das 2:1 für Dänemark stehen zu lassen. Dann kommt böse Kunde aus Guimarães,wo es immer noch 1:1 steht. „Die wollen fünf Minuten nachspielen lassen“, meldet der Informant am Spielfeldrand. „Oho, die Itaker haben noch was vor“, meint der Professor, da trifft es sich gut, dass Wilhelmsson gerade auf dem linken Flügel durch ist. „Abklatschen!“, geht das Kommando an Sörensen. Jonsson ist zur Stelle, 2:2, alles geritzt. In Hammerfest knallen die Sektkorken, hämisches Gelächter, als Cassano Italiens 2:1 schießt. „Wo bleibt eigentlich die Pizza?“, ruft plötzlich einer. Ich mache mich still davon.