Reklame-Zauber

Weil Menschen auf Knöpfe drückten, um die Werbespots wegzuzappen, ging RTL vor Gericht. Dabei wird’s noch schlimmer kommen – oder besser

VON CHRISTIAN RATH

Die „Fernseh-Fee“ sollte ihn wahr machen: den Traum vom werbefreien Fernsehen. Denn Werbung nervt. Also brachte die Firma Telecontrol 1999 eine Set-Top-Box auf den Markt, die zuverlässig die Ausstrahlung von Spots auf dem heimischen Fernsehgerät verhinderte. Nach Wunsch des Nutzers sollte der Bildschirm in der Zwischenzeit schwarz bleiben oder das Gerät zu einem anderen Kanal wechseln. Waren die Spots vorbei, schaltete die Fernseh-Fee automatisch zurück.

Der Trick: In Koblenz beobachteten Mitarbeiter von Telecontrol das Fernsehprogramm und drückten bei jeder Werbeunterbrechung auf einen Knopf. Das Signal wurde dann über Radiosender an die Set-Top-Box beim Kunden übermittelt. Immerhin 299 Mark für die Box plus 4 Mark monatlich für das Signal kostete die Werbefreiheit.

Doch der Traum währte nicht lange. Die Sender Sat.1, RTL und Vox überzogen die kleine Firma und ihre Chefin Petra Bauersachs mit Klagen und warfen ihr „unlauteren Wettbewerb“ vor – kein Wunder, schließlich leben sie ja von Werbeeinnahmen. Immerhin gewann Telecontrol nach einigen Monaten alle Eilverfahren. Die Gerichte befanden, die Existenz der Sender sei nicht akut gefährdet. Außerdem sei das Geschäftsmodell von Telecontrol nicht rechtswidrig, schließlich könne der Zuschauer auch Werbung nach Belieben wegzappen, die Fernseh-Fee helfe nur dabei. Damit gab sich RTL nicht zufrieden. Stellvertretend für die Branche ging der Sender in Revision. Heute verhandelt der BGH in Karlsruhe.

Verkauft wurden von der Fernseh-Fee nur „einige tausend“ Geräte. Denn kaum hatte Telecontrol vor Gericht Erfolg, kündigten Anfang 2000 die Radiosender, die bis dahin das „Stop-Spot-Signal“ übertragen hatten, die Verträge. Die Fernseh-Fee war nur noch Elektronikschrott.

Seitdem konzentrierte sich Telecontrol ganz auf die Entwicklung einer neuen Technik. Bei ihr wird das Signal aus Koblenz über das Internet verbreitet. Statt einer Set-Top-Box dient nun der heimische Computer zur Steuerung des Fernsehers. Billiger ist die neue Lösung names Tivion allemal, bisher wird die Software sogar kostenlos verteilt. „Schon 30.000 User, die an ihrem Computer fernsehen, nutzen Tivion“, freut sich Bauersachs. „Demnächst“ will Telecontrol mit dem eigentlichen Geschäft beginnen, der Verbindung zwischen PC und Fernseher über Kabel oder Funk.

Allerdings hat RTL im März auch gegen Tivion juristische Schritte eingeleitet – die anstehende BGH-Entscheidung wird damit noch wichtiger.

Doch Tivion kann mehr als nur Werbung vermeiden. Als „Kinderschutz gegen Sex und Gewalt“ können Sendungen ab einer bestimmten Altersempfehlung abgeblockt werden. Und mithilfe einer elektronischen Programmzeitschrift kann die Software steuern, dass zum Beispiel jede Sendung mit Humphrey Bogart aufgezeichnet wird. In Amerika ist ein ähnliches System namens TiVo schon seit längerem erhältlich – und so weit verbreitet, dass „to tivo“ schon ein feststehender Begriff für Aufzeichnen geworden ist..

Außerdem ermöglicht die Verbindung von Computer und TV-Gerät interaktives Fernsehen und interaktive Werbung. Wer einen Reisefilm über Sardinien sieht, kann von Telecontrol einen Button eingeblendet bekommen, über den er sich online gleich eine Reise buchen kann. Wer hätte das gedacht: Ausgerechnet eine Firma, die vom Ärger über Fernsehwerbung lebt, produziert nun besonders raffinierte Fernsehwerbung.