Für die Iraker ist Sicherheit das Wichtigste

Kurz vor dem Amtsantritt der neuen Interimsregierung bemüht sich Ministerpräsident Allawi um eine harte Linie gegenüber Kriminellen und Attentätern. Sogar von einer Verhängung des Notstands ist die Rede

BAGDAD taz ■ „Demokratie?“ Kais, der irakische Fahrer, gibt ein spöttisches Lachen von sich. „Was wir brauchen, ist ein starker Mann, der die Iraker mit der Sohle seiner Sandale schlägt, bis sie ihm gehorchen und wieder wissen, was ein Staat ist“, sagt er und lässt sein Lenkrad los, um das mit einer entsprechenden Handbewegung vorzuführen. Der 40-jährige Schiit hat nie zu den Fans Saddam Husseins gehört.

„Der Wunsch nach Demokratie befindet sich bei den meisten Irakern nur im Hinterkopf“, bestätigt auch Suhair al-Daschasairi, der Chefredakteur der irakischen Tageszeitung Al-Mada. Alles drehe sich um die Frage der Sicherheit. „Dass die Töchter wieder sicher zur Schule kommen, ohne entführt oder vergewaltigt zu werden, dass man selbst wieder lebend von der Arbeit zurückkehrt, ist den Leuten wichtiger als die Forderung nach politischer Mitbestimmung.“

Über 14 Monate nach Kriegsende ist das Gefühl der Unsicherheit in Bagdad groß. Die Chance, einem Verbrechen zum Opfer zu fallen oder zufällig am falschen Ort zu sein, wenn eine US-Patrouille oder ein irakischer Regierungsbeamter angegriffen wird, ist reell.

Der neue Ministerpräsident Ajad Allawi scheint die Zeichen der Zeit verstanden zu haben. In seinem neuen Sicherheitsplan, der nach der Machtübergabe am Ende des Monats gelten soll, schließt er die Ausrufung des Notstandes nicht aus. Mit Ausgangssperren und dem Verbot öffentlicher Demonstrationen möchte er wieder Herr im irakischen Haus werden. Auch Hausdurchsuchungen und Verhaftungen sollen in Zukunft vereinfacht sein. Damit wandelt er in den Spuren des bisher geltenden Besatzungsrechts.

Wichtigstes Instrument sind für Allawi neben der Polizei die fast 38.000 Mann starke Zivilverteidigung und auch die 3.000 Mann starke irakische Armee, die Allawi nicht mehr nur zur Bewachung der Grenzen, sondern auch im Inneren einsetzen will. „Besondere Umstände bedürfen besonderer Maßnahmen, rechtfertigt sich der einstige Baathist Allawi, der später im Exil mit seiner Oppositionsgruppe auf der Gehaltsliste der CIA stand.

„Die Auflösung der Armee war ein großer Fehler der Amerikaner, den wir jetzt wieder beheben müssen“, erklärt Allawi. So ist es auch kein Geheimnis, dass inzwischen wieder höhere Offiziersgrade der alten Armee rekrutiert werden.

Begleitet wird die Aufrüstung des Staates und die mögliche Verkündung des Notstandes von Allawis starken Worten, vor allem gegen Kriminelle und Al-Qaida-Kämpfer. „Wir werden nicht mit gefesselten Händen dastehen und zusehen. Wir müssen alles tun, um die Feinde, die unser Land schädigen, zu schlagen“, verkündete er. „Wir sind bereit zu kämpfen und wenn notwendig auch dafür zu sterben.“

Andere Mitglieder des neuen irakischen Kabinetts versuchen Allawis Eifer ein wenig zu bremsen. Innenminister Falah al-Nakib erklärte, dass der Ausnahmezustand nur lokal begrenzt verhängt und auf maximal zwei Wochen begrenzt werden solle. Er verweist auf die delikate Gratwanderung für die neue irakische Regierung: die Guerilla zu schlagen, ohne das Vertrauen der Iraker zu verlieren.

Die Iraker hoffen vor allem auf einen wichtigen Unterschied, wenn Alawi am 30. Juni seinen Posten antritt. Die US-Truppen waren immer zuallererst um ihren eigenen Schutz besorgt, die Sicherheit der Iraker war ihnen zweitrangig. Ab nächsten Monat, wenn sich die US-Truppen langsam in ihre Stützpunkte zurückziehen, werden die neuen Prioritäten der irakischen Sicherheitskräfte erstmals mit der Realität abgeglichen. Nicht jeder ist optimistisch angesichts des Ausbildungsgrads und der Ausrüstung der irakischen Polizei. „Wir haben einfache Kalaschnikows, und die Kriminellen und Terroristen haben Granaten“, beschwerte sich ein desillusionierter Polizist in einer populären Radiosendung.

Doch es gibt auch einige wenige Iraker, die die neue Linie Allawis mit Misstrauen beobachten. „Wir brauchen natürlich mehr Sicherheit, aber dieses jetzige Chaos ist genau die Atmosphäre, die neue Diktatoren schaffen kann“, warnt der Journalist al-Dschasairi. Besonders stößt ihm auf, dass Allawi von allen Sicherheitskräften stets persönlich unterrichtet werden will. Das erinnert ihn sehr an alte Zeiten.

Aber er gibt auch zu, dass es die einzige Überlebenschance der Interimsregierung ist, den Irakern in den nächsten Monaten ein Gefühl der Sicherheit zu vermitteln. Dazu müssten die Iraker nach über einem Jahr Chaos aber auch umerzogen werden, um ihr Verhältnis zum Staat und ihre Rechten und Pflichten neu zu definieren, sagt der Journalist Dschasairi. KARIM EL-GAWHARY