Sieg für Vertriebenen

Urteil in Straßburg: Entschädigung für Verluste in Ostpolen muss „angemessen“ sein. 80.000 betroffen

WARSCHAU taz ■ Jerzy Broniowski ist überglücklich. Er hat vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg gewonnen: Der polnische Staat muss dem 60-jährigen Nachkommen einer 1945 von den Sowjets aus Ostpolen vertriebenen Familie eine „angemessene Entschädigung“ zahlen. Die Broniowskis hatten im einst polnischen Lwów und heutigen ukrainischen Lwiw (Lemberg) ein Grundstück und ein großes Mietshaus zurücklassen müssen und als Entschädigung vom polnischen Staat nur ein kleines Haus bei Krakau erhalten.

Das Gericht verurteilte die Republik Polen dazu, die Prozesskosten von rund 12.000 Euro zu tragen. Außerdem müssen Parlament und Regierung in Warschau eine gerechte Regelung für die Eigentumsansprüche aller ostpolnischen Vertriebenen finden. Dafür hat Polen sechs Monate Zeit. Von dem Präzedenzfall werden 80.000 ostpolnische Vertriebene betoffen sein.

Nach dem Zweiten Weltkrieg verloren mit der Westverschiebung Polens rund 2 Millionen Polen ihre Heimat in den früheren polnischen Ostgebieten. Die meisten erhielten ehemals deutsche Häuser und Wohnungen zur Entschädigung für die Verluste im Osten. Doch viele gingen leer aus und konnten über die Jahre keinerlei Entschädigung einklagen. Speziell für sie wurde im Dezember 2003 ein neues Entschädigungsgesetz erlassen. Hierin wurde der Entschädigungsanspruch auf 15 Prozent des eigentlichen Verlusts beschränkt und auf eine maximale Höhe von 50.000 Zloty (10.800 Euro). Ausgeschlossen wurden noch dazu jene, die bereits eine Entschädigung erhalten hatten, auch wenn diese unter dem Wert von 15 Prozent lag.

Dies genau war der Fall bei Jerzy Broniowski. Das Häuschen, das seine Mutter in Wieliczka bei Krakau bekommen hatte, entsprach lediglich dem Gegenwert von 2 Prozent des Mietshauses und Grundstücks in Lemberg.

GABRIELE LESSER

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