Pokern mit dem Schurkenstaat

USA bieten Nordkorea Gegenleistungen im Falle einer prinzipiellen Bereitschaft zum Verzicht auf Atomwaffen sowie zu späteren Inspektionen an. Libyen dient als Modell

PEKING taz ■ Zum ersten Mal seit dem Präsidentenwechsel wird die US-Regierung unter George W. Bush dem „Schurkenstaat“ Nordkorea heute ein Verhandlungsangebot machen. „Wir haben einen Vorschlag mitgebracht“, verkündete gestern der US-amerikanische Verhandlungsleiter bei den Nordkorea-Gesprächen in Peking, Vizeaußenminister James Kelly. Zuvor hatten Zeitungen in Tokio und New York über das Angebot berichtet. Demnach wollen die USA Nordkorea eine drei- bis fünfmonatige „Vorbereitungszeit für den Atomabbau“ einräumen.

Dafür müsste der nordkoreanische Diktator Kim Jong Il zunächst nur die Bereitschaft zur Beseitigung des mutmaßlichen Atomwaffenprogramms seines Landes bekunden. In der Folge würden ihm die übrigen vier Verhandlungspartner in Peking – China, Japan, Russland und Südkorea – jeden Monat mehrere zehntausend Tonnen dringend benötigtes Erdöl liefern. Zugleich würde Washington gegenüber Pjöngjang eine „provisorische“ Nichtangriffsgarantie aussprechen und Gespräche über den Abbau amerikanischer Wirtschafssanktionen gegen Nordkorea führen. Das alles, versteht sich, für nur wenige Monate. Dann müsste Kim internationale Atominspektionen zulassen, ihnen alle Atomeinrichtungen des Landes öffnen und vorhandenes Atomwaffenmaterial außer Land bringen lassen. Als Vorbild nennen US-Diplomaten die Abmachungen mit Libyen.

„Wir erwarten neue Ideen von den USA“, ließ sich gestern der nordkoreanische Verhandlungsleiter Kim Kye Gwan in Peking vernehmen. Doch steht kaum zu erwarten, dass sich die Nordkoreaner von der Initiative begeistert zeigen. „Wir werden einen weitgehenden Vorschlag mit Blick auf die Einfrierung aller Atomwaffenprogramme vorlegen“, gab Kim Einblick in seine Verhandlungsstrategie.

Wobei klar ist, dass die USA über eine Einfrierung des nordkoreanischen Atomprogramms weiterhin nicht mit sich reden lassen. Sie bestehen auf seinem Abbau. Über den aber wollen die Nordkoreaner erst verhandeln, wenn klar ist, dass die USA die „feindliche Politik“ gegenüber ihrem Land aufgegeben haben – sprich: eine Sicherheitsgarantie für das Kim-Regime abgeben.

Tatsächlich reagierten gestern die meisten Experten pessimistisch auf die Vorschläge aus Washington. Man sieht Nordkorea nicht in einer Lage, die das Land zu Kompromissen zwingt. Kim könne ohne Not die US-Wahlen abwarten, zumal ihm der demokratische Präsidentschaftskandidat John Kerry Direktverhandlungen versprochen habe. Zudem könnten die USA aufgrund des andauernden Irakkrieges Nordkorea nicht glaubwürdig mit einer militärischen Intervention drohen. Das räumen zurzeit auch US-Diplomaten ein. Doch rechtfertigen sie ihren Vorschlag als „Absichtstest“ für Kim Jong Il. „Wenn er den Vorschlag ablehnt, hat er den Test nicht bestanden“, sagte ein Berater Bushs der New York Times. GEORG BLUME

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