Sooooo groß werden die Löcher

Die Opposition gibt den Spielverderber

Opposition und Regierung sind sich in einem Punkt einig: Wahrscheinlich ist Rot-Grün nach den Bundestagwahlen 2006 nicht mehr an der Macht. Genau deswegen ärgert es die Union so außerordentlich, dass SPD-Finanzminister Hans Eichel kurz vor Amtsende hemmungslos die letzten großen Restposten des Bundesvermögens privatisieren will. Die Verkäufe von Post und Telekom kann die Opposition zwar nicht verhindern – trotzdem wird man mit aller Macht versuchen, die eigene Mehrheit im Bundesrat zu nutzen, um den Haushalt 2005 zu torpedieren.

Da ist zunächst das Dauerthema Subventionsabbau: Optimistisch hat die Bundesregierung die Abschaffung der Eigenheimzulage beschlossen. 95 Millionen Euro soll das dem Bund schon 2005 bringen; dieser Betrag würde langfristig deutlich steigen, wenn die Förderung alter Kaufverträge ausläuft. Unionssteuerexperte Friedrich Merz hat gestern angekündigt, dass die Union da nicht mitmacht. Diesen Boykott hat die Regierung natürlich vorausgesehen. Daher hat sie für 2005 festgeschrieben, dass die eingesparten Mittel aus der Eigenheimzulage in die Förderung von Eliteuniversitäten fließen soll. Nach dem Motto: Das wird der Union aber schwer fallen zu begründen, warum sie gegen die künftigen Leistungsträger der Nation ist.

Doch auf dieses Argument geht die Union gar nicht erst ein, sondern bietet stattdessen Subventionskürzungen an anderer Stelle an: Über die Kohlesubventionen könne man jederzeit reden, die für 2005 mit 1,65 Milliarden Euro angesetzt sind und ab 2006 auf 2,2 Milliarden Euro jährlich steigen sollen. Die Union weiß genau, dass im Jahr der Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen Kürzungen der Kohlesubventionen für die SPD ausgeschlossen sind.

Während man sich an der Subventionsfront noch Scharmützel liefert, geht es anderswo um Milliardenbeträge. Gerade laufen im Vermittlungsausschuss die Detailverhandlungen über „Hartz IV“ – also die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe. Die Unionsländer fordern für die Kommunen mindestens 3,5 Milliarden Euro, damit sie ihre Zusatzbelastungen bei den Unterkunftskosten für die Langzeitarbeitslosen decken können. Doch im Haushalt sind bisher nur 2,5 Milliarden Euro eingeplant. Die Differenz von einer Milliarde ist doch gar nicht viel, könnte man denken. Doch selbst diesen Spielraum hat Finanzminister Eichel nicht mehr: Sein Haushalt ist nur verfassungskonform, wenn die Schulden von 22 Milliarden Euro nicht die geplanten Investitionen von 22,8 Milliarden Euro übersteigen. Das macht ihn erpressbar.

Richtig spannend wird es 2005, weil dann die Chance besteht, dass die Union eine Zweidrittelmehrheit im Bundesrat besitzt. Damit könnte sie jedes Haushaltsgesetz zu Fall bringen. Dann würde die Bundesrepublik erstmals die Erfahrung machen, was „vorläufige Haushaltsführung“ heißt: Die absolut notwendigen Ausgaben würden auf 12 Monate verteilt. Fertig. ULRIKE HERRMANN

Feiertage dämpfen die Konjunktur

„Am oberen Rand“ war die Lieblingsformulierung unseres Finanzministers gestern, wenn er von der Konjunktur sprach. Denn für seine Einnahmen enorm wichtig ist, wie stark die Wirtschaft wächst: Boomt die Konjunktur, machen die Firmen höhere Gewinne und sichern damit höhere Steuereinnahmen. Und Eichels Beamte haben ihrem Minister Steuern in Höhe von 194,5 Milliarden Euro in das Budget geschrieben, etwa genauso viel wie 2003 tatsächlich hereinkamen und wie auch für dieses Jahr geplant sind.

Die knapp 200 Milliarden Steuern für den Bund kommen nur zustande, wenn die Wirtschaft zwischen 1,5 und 2 Prozent wächst – und zwar eher bei 2 Prozent. Deshalb sieht Eichel die Konjunktur im Jahr 2005 berufsbedingt jetzt „am oberen Rand“ dieser Spanne. Vorher hieß es immer, der Haushalt werde „am unteren Rand“ dieser Spanne geplant. Beides ist auf Sand gebaut. Wie die zukünftige Konjunktur läuft, weiß schon in ruhigen Zeiten niemand – geschweige denn in Zeiten von Terror und Ölpreishoch.

Die Konjunkturforscher lagen bisher mit ihren Prognosen für dieses Jahr bei etwa 1,5 Prozent, haben zum Teil ihre Vorhersagen jedoch in den vergangenen Tagen um zwei oder drei Zehntelpunkte erhöht, weil die deutsche Exportindustrie noch stärker boomt als eh schon erwartet. Davon ist jedoch ein halbes Prozent nur auf die für Arbeitgeber günstige Feiertagslage im Jahr 2004 zurückzuführen: Weil so viele gesetzliche Feiertage auf ein Wochenende fallen, gibt es mehr Arbeitstage als üblich, ergo wird auch mehr produziert.

Selbst wenn die Konjunktur im Haushaltsjahr 2005 trotz mehr Feier- und weniger Arbeitstagen bei 1,7 Prozent bleibt, ändert das aber nichts an Eichels Hauptproblem: Seine geringen Einnahmen bei den Renten- und Arbeitslosenkassen. Hier würde nur helfen, wenn die Zahl der Arbeitenden stiege. Das aber ist nach aller Erfahrung bei einem Wirtschaftswachstum unter 2 Prozent, eigentlich sogar unter 3 Prozent nicht zu erwarten.

Immerhin eine Hoffnung bleibt Eichel und den Steuereintreibern: Die Weltwirtschaft wächst weiterhin stärker als die deutsche, der Exportboom könnte also noch Jahre anhalten. Und vielleicht zieht irgendwann auch die Binnenkonjunktur nach. Dann käme die hiesige Wirtschaft über die magische Schwelle und würde erstmals seit Jahren wieder mehr Arbeitsplätze schaffen als sie vernichtet – und des Finanzministers Sparschmerzen würden langsam nachlassen. Denn die Leidensfähigkeit seiner Wähler befindet sich auch am oberen Rand. REINER METZGER

Zwei Schatztruhen aus Weltkriegszeiten

Der Finanzminister will im Haushalt 2005 gut 15 Milliarden Euro einnehmen, indem er Bundesbesitz bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) parkt. Solch einen Parkplatz hätten viele gerne, aber der Minister profitiert hier von der deutschen Geschichte: Die KfW wurde 1948 noch vor der Bundesrepublik Deutschland gegründet, weil US-Amerikaner und Briten der deutschen Wirtschaft wieder auf die Beine helfen wollten. Die staatseigene Bank vergibt nach wie vor zinsgünstige Kredite. Im Laufe der Jahrzehnte hat sie ein beträchtliches Vermögen angehäuft, im Bilanzjahr 2003 wälzte sie stattliche 314 Milliarden Euro um.

Außerdem greift die Regierung gleich noch in die zweite Schatztruhe aus Weltkriegszeiten: Das Vermögen des Marshall-Plans wird vom Bundeswirtschaftsministerium auf die KfW übertragen und stärkt so deren Kapitalbasis.

Die KfW kann es sich also leisten, die restlichen Bundesanteile an der Telekom, der Post sowie Flug- und Binnenhäfen zu übernehmen. Sie will die Anteilscheine dann verkaufen, wenn es an der Börse einen möglichst hohen Kurs gibt. So umschifft Eichel das Dilemma, dass er derzeit seine Aktien nur unter ungeheuren Verlusten versilbern könnte.

Ganz so einfach ist es in der Praxis natürlich nicht: Schon in früheren Jahren hat der Bund 42,6 Prozent der Post- und 16,7 Prozent der Telekom-Aktien bei der KfW geparkt. Wenn der Bund nun seine restlichen 20 Prozent Postanteile auch noch auf seine Bank überträgt, hätte die KfW plötzlich mehr als 50 Prozent – die Post wäre offiziell nur noch ein Tochterunternehmen der Kreditanstalt. Das ist weder nach der Satzung der KfW erlaubt, noch würden die Aktienmärkte so eine Herrschaft gut finden. Also muss die Kreditanstalt tricksen und den Anteil unter 50 Prozent drücken. Wahrscheinlich passiert dies über so genannte Wandelanleihen – Großanleger kaufen die Anleihe, kassieren Zinsen und können sie in späteren Jahren in Postaktien umwandeln. Ähnlich läuft es bei der Telekom.

Kompliziert? Ja. Aber irgendwie müssen die Jongleure im Finanzministerium auch ihren Sold verdienen. Was sie dann für den Haushalt 2006 vorhaben, wo sie praktisch allen verwertbaren Bundesbesitz schon jetzt verkauft und verschoben haben? Das wird spannend. In der Kriegsmottenkiste sind noch einige Schmankerl: Der Eichel-Notgroschen auf alle Briefmarken, das Einsammeln von Edelmetallen und Schmuck von deutschen Haushalten, Einschmelzen der Kirchenglocken. Und ab dem Jahr 2007 ist ja dann die Union zuständig für den Bundeshaushalt. REM

Freund und Feind mit Erpressungspotenzial

Alles starrt auf den Finanzminister, wenn der Haushalt aufzustellen ist. Aber eigentlich hat die Regierung nur dienende Funktion – das Budgetrecht liegt beim Parlament, darüber definiert es sich, und die jährlichen Haushaltsberatungen im Herbst sind ein liebevoll gepflegtes Ritual.

Und die Abgeordneten haben bereits Ideen. So hat die SPD-Abgeordnete Karin Roth gefordert, dass es für alle Langzeitarbeitslosen künftig Weiterbildungsangebote geben solle, wenn sie durch das neue Arbeitslosengeld II schlechter gestellt werden. Das dürfte etwa eine halbe Million Menschen betreffen. Diese Idee hätte auch den Charme, dass diese Langzeitarbeitslosen vorerst einmal die Statistik verlassen würden und im Winter nicht über fünf Millionen offiziell gemeldete Arbeitslose zu zählen sind. Allerdings ist selbst Haushaltsexperten nicht klar, ob sich diese Vorschläge aus dem Etat von SPD-Wirtschaftsminister Wolfgang Clement finanzieren lassen, der insgesamt nur etwas mehr als 1 Milliarde Euro hinzugewinnt. Und in diesem sparsamen Haushaltsansatz ist schon die sehr optimistische Annahme enthalten, dass die Bundesagentur für Arbeit im nächsten Jahr mit dem auf 3,5 Milliarden Euro reduzierten Bundeszuschuss auskommt.

Ende August treffen sich die Haushaltsexperten der Regierungsfraktionen zu ihrer traditionellen zweitägigen „Haushaltsklausur“, um die Begehrlichkeiten ihrer Fachabgeordneten zu sortieren, die alle gern noch ein bisschen für ihre Gebiete herausholen würden. Allerdings können sich die Bildungs-, Behinderten-, Sozial- und Verkehrspolitiker keine großen Hoffnungen machen, dass sie noch irgendeinen Einfluss gewinnen könnten.

Das liegt auch an den Grünen. Es hat durchaus Symbolwert, dass sich die grüne Fraktionsspitze gestern damit beeilte, Finanzminister Eichel zu gratulieren, weil er einen verfassungskonformen Haushalt zustande gebracht hat. Das Signal war klar: Wenn überhaupt, dann wird noch weiter gespart. Diese Rolle der Sparkommissare haben die Grünen auch im letzten Jahr schon übernommen. Sie sehen sich als die Wächter der finanziellen „Nachhaltigkeit“, die sie gegen die Sozialdemokraten verteidigen müssen, deren Spendierhosen immer weiter werden, je näher die Kommunal- und Landtagswahlen rücken, die sie nach den Umfragen alle verlieren werden. Und diese Rolle des Finanzwächters wird den Grünen immer einfacher gemacht, je desaströser der Haushalt ausfällt. Stets können sie darauf hinweisen, dass die neuen Schulden ja nicht über der Investitionssumme liegen dürfen.

Es ist schon ironisch: Der Zwang zu einem verfassungskonformen Haushalt bietet ein Erpressungspotenzial, das nicht nur die Union im Bundesrat für sich nutzen kann. Der Finanzminister kann so seine Ressortkollegen in Schach halten – und die Grünen können sich gegenüber den Sozialdemokraten profilieren. Wirklich zu bedauern sind aber die einfachen SPD-Abgeordneten, die auch mal was für ihre Klientel herausholen wollen. UH