Der braune Marsch durchs Ruhrgebiet

Die extreme Rechte geht im Ruhrgebiet mit lokalen Kampagnen massiv an die Öffentlichkeit: Sie stützt sich auf ein über Jahre gewachsenes Netzwerk und hofft auf die steigende soziale Unzufriedenheit der Bevölkerung

RUHR taz ■ „Keine Steuergelder für den Synagogenbau“ wollen rechte Gruppen am Samstag in Bochum skandieren, „Nein zu Multikulti“ brüllten sie in der vergangenen Woche gegen ein islamisches Zentrum im Dortmunder Stadtteil Hörde. Die Strategien haben sich verändert: Ging es vor einigen Jahren auf den rechten Ruhrgebietsdemos noch gegen die „Überfremdungspolitik“ im allgemeinen, suchen sich Agitatoren heute lokale Ereignisse als Aufhänger. „Basisarbeit“ nennt das die NPD – und ist damit im Ruhrgebiet zur Zeit ausgesprochen aktiv. „Die rechte Szene ist allein in diesem Jahr schon größer geworden“, sagt Christian Dornbusch von der Arbeitsstelle Neonazismus der Fachhochschule Düsseldorf. „Und dadurch, dass sie ihre Propaganda lokal mit der sozialen Frage verknüpft, richtet sie sich demonstrativ auch an den Durchschnittsbürger.“

Denn in Regionen mit hoher Arbeitslosigkeit gibt es viele Unzufriedene – und die gucken sich auch ganz gern mal nach einer politischen Alternative um, spekulieren die Rechten. „Wenn dann Leute kommen und fordern, dass die Stadt Bochum ihr Geld lieber für Kindergärten anstatt für Synagogen ausgeben soll, heizt das die sozialen Ängste nochmal richtig an“, sagt Alfred Schober vom Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung. „Dann kommt das tiefsitzende Vorurteil zum Vorschein, dass Juden ja eigentlich alle sowieso reich sind. Und hinzu kommt die generelle Überzeugung, dass die Reformpolitik der Regierung an falscher Stelle spart.“

Mit dieser Strategie geht die NPD auf Wählerfang. Nach wie vor in den neuen Bundesländer, neuerdings aber auch massiv im krisengeplagten Revier. Und NPD bedeutet in Nordrhein-Westfalen immer eine enge Zusammenarbeit mit den so genannten freien Kameradschaften. „Die rechten Parteien in NRW sind schon seit Jahren außergewöhnlich gut mit der freien rechten Szene vernetzt“, sagt der Journalist und Buchautor Andreas Speit. „Der NPD-Landeschef Klaus Krämer ist bei den braunen Kameradschaften sehr beliebt und kann so einen großen Personenkreis mobilisieren.“ Denn auch die Kameradschaften stehen im engen Kontakt miteinander, im Ruhrgebiet existiert in jeder größeren Stadt mindestens eine. Besonders viele braune Aktivisten gibt es nach Einschätzung von Antifa und Verfassungsschutz in Dortmund. „Die Kameradschaften bieten ihren Mitgliedern die gesamte rechte subkulturelle Lebenswelt: Rockkonzerte, Schlägereien, Demos“, sagt Andreas Speit. „Vom engen Kontakt zur zugelassenen Partei NPD profitieren sie insofern, als dass die NPD für sie unter dem Deckmantel des Parteienwahlkampfes öfter Mal eine Demonstration anmelden kann.“ Und die NPD erreicht so auch den an Parteipolitik nicht interessierten Hooligan oder Rechtsrockfan.

„Eigentlich sind auch antisemitische Aktionen im Ruhrgebiet nicht neu“, sagt der Bochumer Antifaschist Daniel Gerber. „Die Gedenktafel der Bochumer Synagoge wird in regelmäßigen Abständen beschmiert und auch in Dortmund wurde schon öfters der jüdische Friedhof geschändet. Neu ist, dass die Rechten vom Ruhrgebiet aus bundesweit für ihre Großkampagnen mobilisieren und sich dabei zunehmend an die Mitte der Bevölkerung wenden.“ MIRIAM BUNJES