Generation VW

Christian Petzold zeigt mit „Wolfsburg“ (Arte, 20.45 Uhr), dass Feigheit vor dem Kino sehr fruchtbar sein kann

Deutsche Regisseure mögen das Fernsehen nicht, sie betrachten es als Kino zweiter Klasse. Meist drehen sie widerwillig zwei Auftragsproduktionen fürs TV runter, um dann unter selbstausbeuterischen Umständen ihren Herzensfilm fürs Kino zu inszenieren – der es dann doch nicht auf die Leinwand schafft, sondern irgendwann in den Nachtschienen des Fernsehens versendet wird.

In Anbetracht dieser Malaise schätzt man Christian Petzolds Vorgehen umso mehr: Nach dem Produktions- und Distributionshickhack um sein Terroristendrama „Die innere Sicherheit“ verpflichtete er sich vor drei Jahren, zwei Filme für das ZDF zu drehen. Er bezeichnete sein Verhalten als Feigheit vor dem Kinomarkt, nannte die Filme kokett kleine Genreproduktionen.

In Wirklichkeit aber macht er mit dem Krimi „Toter Mann“ und dem heute als TV-Erstausstrahlung zu sehenden „Wolfsburg“ vor, wie man als Autorenfilmer das Fernsehen für seine Zwecke nutzt. Wie man aus dem System heraus arbeitet – und gleichzeitig kritisch Distanz hält. Petzold beleuchtet (mit seinem ständigen Koautoren, dem Filmessayisten Harun Farocki) die Wohlstandszonen des Landes, die das Selbstbewusstsein Westdeutschlands über die letzten Jahrzehnte geprägt haben. Wie wurde die Bundesrepublik zu dem, was sie heute ist – und welche Spuren hat die Entwicklung im Privaten hinterlassen? Das sind Fragen, die um viertel nach acht im ZDF selten gestellt werden. Da regiert restaurativer Familiensinn und brachiale Enthistorisierung à la Guido Knopp – deutsche Geschichte ist vor allem eine Reihung schicksalhafter Ereignisse. Die Filme von Petzold, die für die Primetime im Zweiten produziert wurden, aus lizenzrechtlichen Gründen aber auf Arte erstgesendet werden, wirken da wie ein kühler Kommentar zum Deutschlandbild im ZDF.

In „Wolfsburg“ wird nun die durch die Industriestadt vertretenen Idee des totalen Automobilismus in ein klassisches Schuld-und-Sühne-Drama übersetzt: Ein Mann (Benno Fürmann) fährt ein Kind an, begeht Fahrerflucht, das Kind stirbt, der Mann sucht bei der Mutter des Opfers (Nina Hoss) Absolution. Ohne plakativ Fabriken und Fließbänder in Szene zu setzen, konfrontiert Petzold seine Figuren mit der Logik der Stadt: Die Repräsentationsräume psycho-ökonomischer Stabilität potenzieren auch hier ihre innere Zerrissenheit ganz still ins Unermessliche: Autohäuser und Großsupermärkte wirken wie gläserne Gefängnisse, die Autos selbst erscheinen – trotz hochgerüsteter Kommunikationstechnik – wie Halluzinationsmaschinen, die Menschen eher voneinander wegtragen als sie zueinander zu führen. Ein großartiger Film, der schön im Kino anzusehen ist – der aber erst im Fernsehen seine volle abgründige Wirkung entfaltet. CHRISTIAN BUSS